Digital,  Randbemerkungen

Im Lichthof

Es kommt eher selten vor, dass ein Buch, dessen Entstehungs­prozess sich teil­weise auf meinem Rechner abspielt, mit großem Bahnhof veröffent­licht wird. Denn in den meisten Fällen handelt es sich um Werke, die nur für einen über­schau­baren Leser­ïnnen­kreis inter­essant sind, entspre­chend mit kleiner Start­auflage gedruckt werden und bei denen es sich auch vor der Pandemie eher nicht aufge­drängt hätte, sie bei „Häpp­chen und Schöpp­chen“ zu präsentieren.

Diesmal war es anders. Auch wenn es durchaus in meinen Arbeits­schwer­punkt Deutsche Geschichte des 20. Jahr­hunderts / Rechts­geschichte / Judaica passt, ist Das Haus des Paul Levy von Michael Batz, jüngst erschienen bei Dölling und Galitz (mein Beitrag: Co-Lektorat sowie Satz nach dem Gestaltungs­konzept von Annalena Weber), sehr wohl attraktiv für eine breite Öffent­lichkeit. Und so wurde es gestern in geradezu fest­lichem Rahmen im Licht­hof der Staats­biblio­thek Hamburg vorge­stellt; natürlich corona­konform mit 2G-Regel und ohne Catering, aber mit feiner Musik (Klarinette und Akkordeon – eine Klarinette spielt auch im Buch eine kleine, aber tragende Rolle).

Vor der Lesung im Lichthof, der Autor auf der Bühne

Alle beteiligten während der Lesung

Der Autor selbst berich­tete von den Heraus­forde­rungen seiner sechs­jährigen Recherche für das 560-Seiten-Opus, das längs der Geschichte eines Hauses und seiner Bewohner einen üppigen Bilder­bogen Hamburgs von den 1920er Jahren bis nach dem Zweiten Weltkrieg ausbreitet. Und Ausschnitte aus dem Text las Barbara Auer (was für eine wundervolle Stimme!).

Im Anschluss nutzte ich noch eine kurze Unter­brechung des ansonsten den Sonntag domi­nierenden Regens zu einem Bummel durch das im Buch beschrie­bene Grindel­viertel, freute mich darüber, dass Frau Büchert gegen­über den Kammer­spielen es bereits deko­riert hatte, verge­wisserte mich mit eigenen Augen, dass der Löwe über dem Portal immer noch da war, und fragte mich auf der Moor­weide, ob wohl einige der dortigen Bäume bereits stumme Zeitzeugen der Nazi-Aufmärsche gewesen sein mögen.

Danach war ich dann aber auch fix und alle. Nun war ich ja nie der Party­löwe par excel­lence, aber mein Bedarf an Massen­veran­staltungen, und seien es auch nur solche wie gestern mit gut hundert Menschen, hat im Lauf der Pandemie noch mal spürbar nach­gelassen. Für dieses Jahr ist jetzt auch gut mit Socializing …

9 Comments

    • Christian Wöhrl

      Ich danke dafür, dass ich mitarbeiten durfte – das war, wie gestern auch schon zu M.B. gesagt, ein echter Höhepunkt des Jahres!

  • derbaum

    schön sowas zu sehen, lesen, teilhaben zu können. ich hab das buch mal im hinterkopf – muss aber meine geborgten erst mal ‚abarbeiten’…

    und mir geht es wie dir – ich war nie der grosse fan von massenveranstaltungen (wohl meiner ddr-vergangenheit geschuldet) und das hat sich noch verringert in den letzten 1,5 jahren. nicht mal lust auf klassische konzerte hab ich – lieber zu hause vor der 5.1 und dem bildschirm…

    • Christian Wöhrl

      Das kann ich aber auch nachvollziehen mit den klassischen Konzerten: Je nach Spielort und Disziplin der sonstigen Zuhörenden wird man daheim manchmal sogar besser in der Musik versinken können …

  • Gerhard

    Hast Du das Lektorat betrieben oder das Grafische? So schlau wurde ich nicht auf die Schnelle…bin schon ausgesprochen müde heute.

    Massenaufläufe: Wir hatten im September eine Ausstellung in Sommerhausen, Keramikmarkt. Der 1. Tag mit den vielen Leuten war schwer, dwer nächste ging dann schon.

    2G ist (leider) keine Garantie, jetzt sowieso nicht mehr. Das sehen vielleicht wenige so, aber ich denke, das mit den“Vielen in kleinen Räumen“, das gibt sich jetzt im Winter.

    • Christian Wöhrl

      Beides sozusagen: Zuerst den ersten Durchgang des zweistufigen Lektorats – danach war Sabine Niemann vom Verlag an der Reihe – und später den Satz, also das Einfließenlassen des Textes, Formatierungen, typografisches Feintuning (was bei einem derartigen Kaliber enormen Aufwand bedeutet, obwohl es vordergründig „nur Text“ ist).

      Allerdings habe ich hier nicht wie meist sonst auf Basis meiner eigenen grafischen / typografischen Entwürfe gesetzt, sondern das gestalterische Konzept hat besagte Annalena Weber erarbeitet. Der Blick auf ihre Website lohnt sich sehr – sie geht sehr viel künstlerischer an Buchgestaltung heran als ich, der ich doch eher handwerklicher Filigrantechniker bin.

      – Und was das Pandemiegeschehen angeht: Mittlerweile freue ich mich fast schon, „nur“ J&J bekommen zu haben, denn ich bin jetzt schon wieder boosterberechtigt, und das werde ich so bald wie möglich nutzen. Nein, dieser Winter wird kein Ponyschlecken …

  • Gerhard

    Ok, Annalena Weber schaue ich mir an 🙂

    Was las ich gerade:

    Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt.
    Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.
    (R. M. Rilke)
    

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