Digital,  Randbemerkungen

Berechtigte und andere Wut

Habt ihr das Kommuni­kations-Desaster um die schleswig-holstei­nische Kultus­ministerin und Präsi­dentin der Kultus­minister­konferenz Karin Prien mitbe­kommen? (Falls nicht: Eine leid­lich brauch­bare Zusammen­fassung habe ich beim Tages­spiegel gefunden.) Wenn ihr hier schon länger mitlest, könnt ihr euch denken, auf wessen Seite ich tenden­ziell in der Causa stehe – Spoiler: Dieser Standard.at-Kommentar trifft es für mich sehr gut, und in diesem Sinne halte ich das Agieren der KMK für teil­weise durchaus sozial­darwi­nistisch, für nur rational erklärbar inner­halb eines Welt­bildes, in dem sich das Indivi­duum der Wirt­schaft unter­zuordnen hat statt umge­kehrt. Aber worum es mir heute geht, ist was anderes:

Die sog. sozialen Medien haben in dieser Ange­legen­heit wieder mal (auch) ihre asoziale Seite zur Schau gestellt. Ja, Frau Prien lag mit ihrer Aussage daneben, menschlich wie faktisch. Nein, das hätte nicht dazu führen dürfen, dass einige – beileibe nicht alle! – Kritiker ihrer Posi­tion darauf mit geschmack­losen bis wider­wärtigen Ad-hominem-Attacken reagiert haben. Denn jetzt haben wir den Effekt, dass sich die Minis­terin in ihr wohl­geson­nenen Medien als bedauerns­wertes Opfer eines angeb­lichen Hass-Mobs insze­nieren kann und dass einmal mehr das Problem, um das es bei der Debatte ursprüng­lich hätte gehen sollen, unterm Teppich der öffent­lichen Aufmerk­samkeit verschwindet. Oder wie es Marina Weisband heute im Deutsch­land­funk sagte: Über Shit­storms reden wir sowieso immer, aber …

Eines der zentralen Mantren meiner netz­poli­tisch aktiven Zeit besagte, dass tech­nische Lösungen für soziale Probleme keine gute Idee seien. Das sehe ich grund­sätz­lich immer noch so; trotzdem fände ich es in Situa­tionen wie hier skiz­ziert manchmal char­mant, wenn alles, was man ins öffent­liche Internet schreibt, erst mal 24 Stunden zurück­gehalten und dann erst nach einem Bestä­tigungs-Klick Ja, ich bin sicher, dass ich das schreiben möchte publi­ziert wird.

***

Ganz was anderes: Bevor die alle weggeweht werden, habe ich euch heute noch eine Amsel fotografiert.

Auf einem Drahtgitterzaun, der das untere Drittel des Fotos abdeckt, sitzt etwas rechts neben der Mitte eine männliche Amsel. Der Kopf ist in Richtung des linken Bildrands erhoben und eine gedachte Linie vom Schnabel des Vogels zeigt in die obere linke Bildecke, wo gerade eben ein Blatt ins Bild ragt. Der Hintergrund ist unscharf und gedämpft farbig, im unteren Viertel hellgrün, darüber orange bis braun mit einzelnen Lichtflecken.

6 Comments

  • Aebby

    “ … wenn alles, was man ins öffent­liche Internet schreibt, erst mal 24 Stunden zurück­gehalten und dann erst nach einem Bestä­tigungs-Klick Ja, ich bin sicher, dass ich das schreiben möchte publi­ziert wird. “

    Dazu fällt mir noch ein anderes Feature ein: Antworten auf Social Media-Platformen werden vor der Veröffentlichung von einer KI so umformuliert, dass die Schreibenden angesprochen werden, das wird angezeigt ggf. bestätigt und erst danach der Originaltext veröffentlicht. Die andere Seele in meiner Brust flüstert mir jedoch zu, dass diejenigen, die sich davon vom publizieren abhalten lassen ohnehin vor dem Schreiben nachdenken.

    *seufz

    • Christian Wöhrl

      Ja, ich neige auch dazu, deiner zweiten Seele beizupflichten: Solche Mechanismen wären bloß nützlich für die meist Besonnenen, die sich nur ausnahmsweise zu Überreaktionen hinreißen lassen. Wer aus Prinzip oder gar als Geschäftsmodell trollt, wird das auch weiterhin tun. – Es ist nur immer wieder traurig zuzuschauen, wie an sich berechtigte Anliegen darunter leiden, wenn Kritik nicht im konstruktiven Rahmen bleibt. (Immerhin ist positiv zu vermerken: Auch konstruktive Kritik wird mitunter da wahrgenommen, wo man es nicht vermuten würde, siehe diesen faz.net-Artikel über den misslungenen ARD-Faktenfinder.)

  • Klaus

    Da gibt es ein überraschendes Feature bei Twitter: immer wenn eine Bekannte mit > 2000 Followern Texte von mir retweetet hat, erscheint bei mir eine Warnung, das jemand mit großer Reichweite das getan hat und ob ich bei meinem Tweet ändern möchte, wer ihn sehen kann.

    Eigentlich ein Schritt in die richtige Richtung.

    Tolles Amselbild, BTW.

    • Christian Wöhrl

      Von dem Twitter-Feature habe ich noch nichts mitbekommen, aber ich bin auch erst im dritten Monat wieder dabei und versuche nicht allzu viel Zeit reinzustecken. (Ah, du bist doch noch mal aktiv geworden? Gefunden :-))

      Der Amsel war sehr freundlich zu mir und hat seine Fluchtdistanz ziemlich runtergesetzt, normalerweise werden die bei mir zwei, drei Meter früher schon nervös.

    • Christian Wöhrl

      Ich mag mich mit Twitter auch nicht mehr als unbedingt nötig befassen. Gewöhne mir allmählich ein paar Routinen an, um sicherzustellen, dass mein Informationsbedarf und mein Interesse an seelischer Gesundheit nicht allzu sehr clashen …

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