Randbemerkungen

Postscriptum an einen Wahlkämpfer

Moin, Herr X.,
wir haben uns nicht nament­lich bekannt gemacht heute früh, an Ihrem Wahlwerbe-Stand vor dem Großhans­dorfer Drogerie­markt, und leider finde ich auf den infrage kommenden Websites auch kein Gesicht, das mir bekannt vorkommt. Daher vorerst auf diesem indi­rekten Weg notiert:

Sie fingen meinen Blick auf und sprachen mich an, und ich drückte mein Erstaunen aus darüber, dass ein so junger Mensch wie Sie Mitglied einer Partei ist, der Autobahn­rasen wichtiger ist als Klima­schutz. Sie bestritten vehement, dass es da irgend­einen Zusammen­hang gebe, und auch sonst konnten wir nicht viele Gemeinsam­keiten identi­fizieren, hielten es aber immerhin eine Viertel­stunde miteinander aus.

Vor Ort war ich beein­druckt davon, wie breit und gründ­lich Sie infor­miert waren (wenn­gleich vorzugs­weise munitio­niert mit mal validen, mal selek­tiven, manchmal auch vermeint­lichen Fakten, die Ihren jewei­ligen Stand­punkt stützten; aber gut, das gehört zum Geschäft). Rück­blickend noch beein­druckender finde ich inzwischen aber Ihr rheto­risches Geschick; erst daheim wurde mir bewusst, wie elegant es Ihnen immer wieder gelungen ist, heikle Themen­felder zu umsteuern.

Ich spreche, Sie wissen es, hier vor allem vom Komplex globaler Gerech­tigkeit. Wann immer ich, etwa mit dem Stichwort deutscher vs. welt­weiter Earth Over­shoot Day, darauf zu sprechen kam, dass unser Land im globalen Maßstab weit über seine Verhält­nisse lebt, haben Sie mit zwei, drei schnellen Volten das Thema gewech­selt, und ich ärgere mich ein biss­chen, dass ich Sie damit habe durch­kommen lassen.

Nun, vielleicht findet dieser Text irgendwie zu Ihnen, daher hier noch ein paar Ergän­zungen meiner­seits (und die herz­liche Einladung, von Kommentar­funktion oder Mail Gebrauch zu machen).

Ihr Fokus im Gespräch war der Wohl­stand unseres Landes, und Sie drückten die Hoffnung oder Über­zeugung aus, dass es möglich sei, dieses Level (bei Konsum, Mobi­lität/Reisen usw.) durch tech­nische Inno­vation und ohne strenge Ge- und Verbote auch ohne über­mäßigen Ressourcen-Verbrauch beizu­behalten. Lassen Sie mich die offen­sichtlichen lokalen Probleme dieser Annahme nur anreißen: Wie lange hielt eine vor 50 Jahren gekaufte Wasch­maschine, wie lange hält eine heutige, woran liegt das und was sagt es über das Wesen von Innovation? Und glauben Sie ernst­haft, solche und ähnliche Probleme einzig per Zerti­fikats-Ablass­handel und ohne jegliche Regulierung lösen zu können?

Viel wichtiger ist mir die heute zu kurz gekom­mene globale Perspek­tive: Auch der strah­lendste Opti­mist wird nicht ernst­haft annehmen, dass der Lebens- und vor allem Konsum­standard, dessen wir uns in Deutsch­land erfreuen, sich selbst unter Ideal­bedingungen (keine Kriege, keine Handels­barrieren, globale Kreis­lauf­wirtschaft) für die gesamte Welt­bevölkerung in überschau­baren Zeit­hori­zonten reali­sieren lässt. Das gibt der Planet nicht her, keine Chance!

Aus meiner Sicht ist es deshalb schlimm genug, dass es in Deutsch­land selbst fürs bloße Decken elemen­tarer Bedürf­nisse bei Wohnen, Essen und Arbeiten kaum möglich ist, das inner­halb der plane­taren Grenzen zu tun, und ich halte den und die Einzelne ebenso wie die Gesell­schaft als Ganze für mora­lisch verpflichtet, das Budget nicht noch weiter zu über­reizen als nötig. Sie hingegen sagten ausdrück­lich, wer über den Grund­bedarf hinaus z. B. im Zweieinhalb­tonner mit 200km/h über die Auto­bahn donnern möchte, der darf das gern tun, und wenn es für Unter­nehmen wirtschaft­lich ist, verschwen­derische Produkte zu produ­zieren statt sparsame, ist das in Ordnung, weil das höhere Preise und mehr Gewinn erlaubt und Gewinne die Inno­vation befeuern. Nein, einfach nein: Im Sinne globaler Gerech­tigkeit ist es zutiefst unmora­lisch, so etwas nicht zu reglementieren.

Wer also unserem Land seinen konsum­orientierten und im Welt­maßstab extrem über­zogenen Lebens­standard auch in Zukunft garan­tieren möchte, muss dafür faktisch die Spät­folgen des Kolonia­lismus perpetuieren: Wir leisten uns auch weiterhin unser Luxus­leben auf Kosten des globalen Südens; damit es uns (zu) gut gehen kann, muss es weniger privilegierten Menschen umso schlechter gehen. Sie werden das nicht gern lesen, aber let’s face it: Das ist nicht bloß egoistisch, sondern auch rassistisch.

Natür­lich ist es legitim, das programmatisch zu wollen, die Zielgruppe ist ja offensichtlich groß genug. Ich würde mir dann halt wünschen, dass man als Partei ehrlicherweise aufhört, ständig von Verantwortung zu sprechen, und konsequent nur noch von Eigen­verantwortung redet (die ja de facto das Gegenteil ist). Danke.

4 Comments

    • Christian Wöhrl

      An mir solls nicht liegen … Wobei dieses Mal wieder eine dieser Wahlen ist, bei denen ich sehr viel lieber durchstreichen als ankreuzen würde, das würde mir leichter fallen.

    • Christian Wöhrl

      Generell erkenne ich den Trend auch, wobei es ja grade in den Hochrechnungen zumindest für SH so ausschaut, als seien die beiden übelsten Ichzuerst-unddannich-Parteien auf dem richtigen Weg …

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