Läuft alles nach Plan
Fiktive Rede des Spitzenfunktionärs einer Nischenpartei, kurz vor der Regierungsbildung in Deutschland 2021.
Liebe Freunde,
wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Nie zuvor war unsere Freiheit so bedroht wie heute, und ihre ärgsten Feinde sind ökologische und soziale Gerechtigkeit. (Grummeln.) Diese gefährlichen linksradikalen Konzepte stellen alles infrage, wofür wir stehen und was unsere Spen…, äh, Wähler von uns erwarten; und es ist unsere vornehmste Pflicht, jegliche Entwicklung in diese Richtung bereits im Ansatz zu vereiteln. (Applaus.)
Denken wir etwa daran, dass in Teilen der Bevölkerung so absurde Ideen wie eine Verkehrswende (Pfiffe) diskutiert werden. Ja wo kämen wir denn da hin, frage ich euch, wenn es plötzlich möglich wäre, sich ohne mindestens zweieinhalb Tonnen individueller Panzerung im Straßenverkehr angstfrei zu bewegen? Stellt euch einmal vor, man könnte auch mit Bussen und Bahnen seine Ziele bequem und zuverlässig erreichen (Gelächter) – wer würde denn dann noch die Produkte der heiligen deutschen Automobilindustrie nachfragen? (Buh-Rufe.)
Oder denken wir an emissionsfreies Heizen (gellende Pfiffe) – was für ein Irrsinn! Na klar: Die meisten von euch haben, wenn ihr neulich gebaut oder saniert habt, schon Photovoltaik und eine Wärmepumpe daheim; ihr wärt ja auch schön blöd, wenn nicht. Aber sollte deshalb auch der Plebs nachhaltig und preisgünstig heizen dürfen? Selbstverständlich nicht – am Ende käme die Bevölkerung noch auf die Idee, ihre gesamte Energieerzeugung genossenschaftlich zu organisieren. (Anschwellendes Grummeln.) Und wo gäbe es in einem, sagen wir, regionalen Windpark Aufsichtsratsposten in hinreichender Menge und Dotierung, um uns allen nach unserem aufopferungsfreien Dienst im Parlament einen herr…, hrmpf, menschenwürdigen Ruhestand mit Mitte Vierzig zu gewährleisten? (Rumpeln in einer hinteren Reihe, gedämpfte Rufe nach einem Sanitäter.)
Und ja, denken wir auch an das weite Feld der Arbeit. Arbeit muss sich lohnen, das ist unser Credo seit eh und je. Vor allem für den Arbeitgeber, denn ohne seine Vorleistung, ohne sein großherziges Geben, gäbe es gar nichts, was der Arbeitnehmer, der ewig Unzufriedene, nehmen könnte. (Zustimmendes Kopfnicken.) Und wenn hier nicht mehr nur über Mindestlöhne, schlimm genug, sondern sogar über ein bedingungsloses Grundeinkommen (schrilles Kreischen) gesprochen wird, dann, liebe Freunde, müssen wir unseren Gegnern beweisen: Geld ohne Gegenleistung zu erhalten erhöht nie-nie-mals die Bereitschaft, auch nur im Ansatz produktiv oder kreativ zu sein.
(Leiser:) Unter uns gesprochen: Für diese Beweisführung haben wir nicht nur das Konzept eines Plans, sondern auch schon Freiwillige in ausreichender Menge. (Sprechchöre von der Empore skandieren „Vol-ker, Vol-ker!“)
Ich könnte euch noch viel mehr darüber erzählen, welchen Gefahren unsere Freiheit ausgesetzt ist, aber ich denke, ihr wisst, was zu tun ist. Lasst uns ein Teil dieser kommenden Regierung werden, lasst uns so tun, als wollten wir mitwirken und gestalten! Und dann lasst uns alles, was dieses Land ökologisch oder sozial zu transformieren droht, blockieren und sabotieren. Und zwar um jeden Preis, und sei es die parlamentarische Bedeutungslosigkeit unserer eigenen Partei nach den kommenden Wahlen! (Raunen.) Aber auch das wäre kein Grund zur Sorge, liebe Freunde: Solange wir nur dafür sorgen, dass von deutschem Boden nie wieder ein Impuls für Gerechtigkeit ausgeht, so lange ist für unser eigenes Wohlergehen gesorgt.
In diesem Sinne: Rot und Grün sind Ampeln für Fußgänger und andere Versager. Echte Ampeln sind im Innersten gelb! (Standing Ovations.)
3 Comments
Aebby
… und nicht zu vergessen die neue Kirchensteuer für die Marktreligion (Hört, Hört!)
Birte
Der Vorsitzende dieser Kleinstpartei fand den Rücktritt der Grünen Spitze unausweichlich ob der schlechten Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
Wahlen, bei denen die gelben teilweise noch hinter der Tierschutzpartei gelandet sind.
Aber das hat natürlich nichts mit ihm zu tun. Der Wähler hat es vermutlich mal wieder nicht begriffen.
Christian Wöhrl
@aebby: Stimmt, das hätte auch noch gut gepasst. Aber mit Steuer kenne ich mich nicht genug aus, um da was Locker-aber-Stimmiges zu formulieren.
@Birte: Wobei es den Grünen ja wirklich wehtut, wenn ihnen die Wählenden weglaufen. Anlass meines Textes war halt der Gedanke: Was, wenn CL Recht hat und wirklich aus seiner Sicht nichts falsch gemacht hat? Wenn die Möglichkeit, dass diese Regierungsbeteiligung sich zum Selbstmordkommando entwickelt, von vornherein eingepreist wäre? Dann ist zumindest progressive Politik gründlich sturmreif geschossen, und bis dann Friedrich Merz mit seiner ersten Amtszeit als Weidels Vize fertig ist, haben die Wählenden die Zeit jetzt gründlich genug vergessen, dass dann auch wieder die FDP gewählt wird … (wenn dann noch gewählt werden darf – das immer vorausgesetzt).