Küstennotizen

Fast vollständige Internet-Abstinenz und trotzdem WWW: Wellen, Wind und Wildlife – wir waren mal wieder für eine Woche in der Region Fischland-Darß.
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Kraniche, Hirsche, Möwen, dazu der unverwüstliche Klassiker Langzeitbelichtung mit Buhnen … in 7,5 Tagen sind rund 450 digitale Aufnahmen plus 22 Blatt Planfilm und ein Rollfilm im 6×7-Format zusammengekommen. Für meine Verhältnisse ist das ausgesprochen exzessiv (wenn ihr es genau jetzt rumpeln hört, fällt irgendwo eine echte Tierfotografin vor Lachen vom Stuhl), weshalb ich diesen Eintrag etwas schlanker halte und die eigentliche Bildergalerie – knapp 100 der Digi-Fotos – hierhin ausgelagert habe.
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In jenen fernen Zeiten vor der Christianisierung Mitteleuropas wurde an den norddeutschen Küsten eine eifersüchtige Gottheit verehrt. So eifersüchtig war sie, dass es all ihren Anhängern streng verboten war, zu Fuß oder im Ochsenkarren hinter Ortsfremden herzujuckeln, statt diesen auf prahlerische Weise zu enteilen – galt solches doch als Eingeständnis der Schwäche, mehr noch, gar als Signal der Unterwerfung unter einen konkurrierenden Götzen.
Insonders unter jungen Männern galt als ausgemacht, dass solcherlei Tun unfehlbar durch Verlust der Manneskraft auf immerdar würde gestrafet werden.
In gar nicht wenigen Regionen Norddeutschlands hielt sich dieser Aberglaube bis weit ins 21. Jahrhundert.
Das ist natürlich nur eine Hypothese, doch sie würde unsere wiederkehrenden Erfahrungen auf hiesigen Landstraßen sauber erklären.
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Der Landstrich Fischland / Darß / Zingst ist bekanntlich ganzjährig sehenswert, und wir fahren immer wieder gern hin. Aber manchmal fühlt man sich als Tourist*in doch eher gemolken denn willkommen geheißen:
Als Übernachtende zahlt man Kurtaxe, logisch. Für zwei Personen und eine Woche sind das schon mehr als 50 Euro. Ist ja auch okay, denn es gibt einiges zu pflegen und instandzuhalten. Aber die Wege zwischen den Dörfern und Sehenswürdigkeiten sind weit – zum Darßer Ort von Süden her mehr als fünf Kilometer schnurgerader Schneise durch den Wald, öfters mal zehn oder mehr Kilometer auf oder hinterm Deich ohne Meer- und Boddenblick, spätestens beim dritten Mal ist das nur mit dem Rad recht öde. Nun gibt es zwar eine Buslinie, einigermaßen regelmäßig verkehrend und sogar oft mit Fahrrad-Anhänger. Aber glaubt mal nicht, dass man mit der Kurkarte in den Genuss auch nur einer einzigen Busfahrt käme: Die berechtigt bloß zum Erwerb des „flexiblen Touristentickets Nordvorpommern“ für eine Woche Busfahren in der Region zu absurden 35 Euro pro Kopf, und je Fahrradbeförderung sind noch mal drei Euro fällig, für E-Bikes sogar sieben Euro.
Wenn man also doch mal ein Stück mit dem Auto fährt und es dann abstellen möchte, kommt das nächste Augenreiben: Jedes Dorf hat einen anderen Preis fürs Parken, und der variiert hier für den Tag zwischen ca. 7 und sagenhaften 15 Euro. Nun bin ich bekanntlich keineswegs der Meinung, dass Autofahren generell zu teuer sei, eher im Gegenteil – aber wenn meine Parkgebühren so deutlich sagen, dass ich Autos hier eigentlich nicht haben möchte (was zumal in so sensiblen Lagen ja auch sinnvoll wäre), dann muss ich zumindest bezahlbare Alternativen im Angebot haben, nüch?

Oder der bereits erwähnte Darßer Ort: Das ist eine der schönsten Ecken der Region, am Nordzipfel des ohnehin wunderbaren Weststrands mit seinen windflüchtenden Bäumen gelegen, nur mit der Kutsche oder auf Strecken von mindestens fünf Kilometern einfach per pedes oder pedales zu erreichen. Hier draußen angekommen und vielleicht nach der spektakulären Wanderung durch die hirschreichen Dünen, kommt womöglich etwas Appetit auf. Es gibt auch ein Café – exklusiv zugänglich über das nicht uninteressante, aber doch recht kleine Museum, für dessen Betreten pro Nase dieses Jahr immerhin acht Euro fällig waren.
Liebe Tourismus-Verantwortliche auf dem Darß und anbei: Wenn ihr euch nicht dem Verdacht aussetzen möchtet, junge Familien und nichtreiche Menschen aus eurer Region fernhalten und eure Schönheiten ausschließlich versnobtem Schnöselvolk präsentieren zu wollen, solltet ihr eure Preispolitik an der einen oder anderen Stelle dringend überdenken.
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Aber man will ja nicht nur meckern. Also weise ich ausdrücklich lobend auf die Möglichkeiten der Kranich-Beobachtung in der Region hin: Speziell südlich des Boddens gibt es hier einiges an sinnvoll geplanter Infrastruktur, besonders gut hat uns das Kranorama am Günzer See gefallen. In dieser feinen neuen Beobachtungshütte mit kleiner Ausstellung hat man Blick auf in der Vogelzug-Saison manchmal tausende, bei unserem Besuch immer noch mehrere hundert Kraniche, die dort gezielt angefüttert werden, und auch drei Seeadler gab es durch die bereitstehenden Spektive zu bewundern. Die dort informierenden Ranger*innen sind übrigens alles Ehrenamtliche, und der Eintritt ist frei; nur wenn man als Fotograf*in mit sehr langer Brennweite ankommt, wird um einen Beitrag zu den Fütterungskosten gebeten.

So kann man das also auch handhaben, und es fühlt sich aus Besuchenden-Perspektive irgendwie fairer an als andernorts. Wobei natürlich mal darüber zu reden wäre, warum in Deutschland so weite Teile des Lebens von Ehrenamtlys am Laufen gehalten werden müssen – aber das führte jetzt doch zu weit ab … Deshalb jetzt hier nur noch mal der Hinweis auf die digitale Bildergalerie, und die echten Silberpixelchen folgen beizeiten.


9 Comments
derbaum
manches konnte ich bei unserem tagesbesuch im anderen ende das baltischen meeres – sprich boltenhagen – genauso erleben.
danke fürs meckern – vllt. bewirkt e sja was?! – das mitnehmen und die vielen schönen bilder – da muss ich nochmal in ruhe guggn! grüsse elbabwärts!
Rappel
Hach ja, das sind mal richtig viele schöne Bilder. Und die geäußerte Kritik kann ich sehr gut nachvollziehen, das unterschreibe ich so. 🙂
Christian Wöhrl
Grüße elbaufwärts in doppelter Ausführung zurück! Eine ausführlichere, seriöser formulierte und auch konstruktiv angereicherte Version des „Gemeckers“ an die hoffentlich zuständigen Institutionen ist in Arbeit …
Rappel
Späte Antwort: Das hast du wunderschön formuliert. Bin gespannt, ob und was darauf zurückkommt.
Christian Wöhrl
Ja, ich bin auch sehr gespannt. Zumindest war es ja nicht nur Kritik, sondern auch konstruktives Dialogangebot. Falls was zurückkommt, werde ich es im Blog nachtragen.
Birte
Es ist schon etwas her, dass wir auf dem Darß waren, aber so heftig habe ich das gar nicht in Erinnerung. Wir waren damals in Zingst.
Das Bild mit dem Hirsch ist einfach genial. Das gefällt mir richtig gut. Ich gebe zu, langzeitbelichtetes Meer ist nicht so meins.
Christian Wöhrl
ha!, da ist doch für jede*n was dabei 🙂 Der Hirsch hat mir auch Freude gemacht, nur mehr Brennweite hätt’ ich gern gehabt (war aber auch so schon genug zu schleppen).
Uns ist es erst dieses Jahr besonders deutlich aufgefallen, wobei unser voriger Aufenthalt auch schon wieder vier Jahre her ist.
Aebby
Schönes WWW. Dass an der Beoabachtungsstation Spektive zur Verfügung stehen ist toll. Die anderen Bilder muss ich noch in Ruhe anschauen.
Christian Wöhrl
Habe das jetzt schon mehrfach gesehen, dass ein gewisser deutscher Premium-Hersteller solche Naturschutz-Stationen ausstattet. Ist ja auch eine wesentlich beeindruckendere Werbemaßnahme als eine Zeitungsanzeige …