Konservative Klimapolitik. Notizen zu Edenhofer
In einem Interview auf spiegel.de spricht (leider hinter Bezahlschranke) Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, über die Verantwortung der aus seiner Sicht unversöhnlich und allzu kompromisslos auftretenden Klimabewegung für den heftigen Gegenwind, den Klimathemen heute erfahren. Er bemängelt insbesondere das Fehlen einer Klimapolitik, die auch für Konservative anschlussfähig ist. Dazu einige Gedanken von mir:
Im Grundsatz ist der Gedanke einer Klimapolitik für Konservative sicher nicht falsch. Aber bräuchten wir dann nicht auch Konservative, die eine solche Politik vorantreiben?
Es mag richtig sein, dass ein mitunter klassenkämpferisch-revolutionär klingendes Vokabular aus der Degrowth-Szene und aus den extremeren Klimagerechtigkeits-Strömungen auf manche*n abschreckend wirkt. Aber man kann wirklich nicht behaupten, dass das in den letzten Jahren die Diskurshoheit gehabt hätte. Ja, es war medial präsent, aber eigentlich nur, um von allen Seiten verprügelt zu werden.
Wo sind denn die an- und verständigen Konservativen, die sagen, „Jetzt haltet mal bitte die Füße still, lieber Friedrich Merz, lieber Markus Söder, mit eurem pathologischen Grünen- und Windkrafthass! Natürlich wollen wir Wachstum, aber wir wollen es endlich vom fossilen in den erneuerbaren Bereich verlagern – und im übrigen hat ein bisschen Hafermilch im Kaffee auch noch niemanden umgebracht“?
Soweit ich es überblicke, sind inzwischen auch signifikante Teile der deutschen Wirtschaft und Industrie gedanklich im 21. Jahrhundert angekommen; aber der politische Konservatismus, der sich bekanntlich selbst für den einzig wahren Hort der Wirtschaftskompetenz im Lande hält, kümmert sich – zumindest in seiner Außenwirkung – nahezu ausschließlich um die vorgestrigen Belange des VDA und macht sich mehr Sorgen um die letzten paar Kohlekumpel, als es seine Akteure (Maskulinum hier sinnvoll) je für nötig hielten, als sie in Deutschland all die Arbeitsplätze in damals boomenden Branchen wie Sonne und Wind vernichteten – Stichwort etwa Altmaier-Knick.
Gibt es hier also überhaupt ökologisch ganzheitlich denkende Konservative? Manchmal, in lichten Momenten, nehme ich sie in der Europapolitik wahr, aber in der deutschen Bundespolitik? Da wüsste ich grade niemanden. Wenn die Klimabewegung zu radikal in die eine Richtung auftritt, wie es Edenhofer suggeriert, ist es nur fair zu sagen, dass der politische Konservatismus die Radikalität in die andere Richtung übertreibt.
Oder übersehe ich etwas?
9 Comments
Birte
Ich wollte den Artikel gerade lesen, da kam der Spiegel mit einem gelben Balken und einer Eilmeldung:
„Es ist eine Niederlage für die Klimaschutzbewegung: Umweltschützer hatten sich mit einem der größten Konzerne der Welt angelegt, Shell sollte verpflichtet werden, seinen CO₂-Ausstoß drastisch zu senken. Nun hat Den Haag anders entschieden.“
Deinen Anmerkungen kann ich nur zustimmen. Das die einen radikal werden, weil die anderen den Arsch nicht hochkriegen-ich kann das schon verstehen, zumal denen, die da „kleben“ noch ihre Zukunft bevorsteht, ganz im Gegensatz den alten wie Merz, Söder und Co. Selbst wir beiden erleben den großen Gau vielleicht nicht mehr. Kein Grund, sich zurück zu lehnen.
Christian Wöhrl
Es ist ja wohl keine „Niederlage für die Klimaschutzbewegung“, sondern eine für die ganze Welt, wenn es uns nicht endlich gelingt, diesen Verbrecherkonzernen endlich das Handwerk zu legen. (Upsi, das klingt schon wieder radikal … Ist aber der Dringlichkeit der Sache und unserem jahrzehntelangen Versagen geschuldet.)
uli
Ich schätze das Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, aber diese Einschätzung kann ich nicht nachvollziehen. Mir geht es wie dir genau umgekehrt. Wirtschaftsnahe Politik müsste doch schreiend davonlaufen vor den veralteten, fossilen Konzepten, die die Natur ausmosten, die Erde über Jahrhunderte erhitzen und nur noch wenige Jahre Geld bringen werden. Und mit wehenden Fahnen zu den gar nicht mehr so neuen regenerativen Technologien und Ideen überlaufen, die sowohl billiger als auch zukunftsfähiger sind. Das wäre die „Technologieoffenheit“, die z.B auch die FDP immer wie eine Monstranz vor sich herträgt. Ich verstehe es ehrlich nicht.
Christian Wöhrl
„ausmosten“ – so ein schönes Wort <3
Die Bringschuld fürs Brückenbauen bei der Klimabewegung zu suchen ist halt auch arg unfair, weil die Mittel extrem ungleich verteilt sind: Die Gegenseite hat ja buchstäblich Milliarden-Budgets, um ihre Positionen zu festigen (bzw. immer weiter in die falsche Richtung zu verschieben).
Thore
Das Schlimme der politischen Konservativen ist ja, dass die nicht nur konservieren (lateinisch conservare „erhalten“, „bewahren“), also keine Veränderung wollen. Die wollen am liebsten ja sogar eine Rückentwicklung zu alten Werten und Zuständen. Dabei zeigt die Evolution, dass Entwicklung und Veränderung unausweichkliche Naturgesetze sind. Darum sollten wir die Chance, all das angehäufte Wissen und die Erfahrung und Verantwortung dazu nutzen, diese Entwicklung wenigstens ein bisschen positiv zu beeinflussen.
In Science Fiction bei Zeitreisen in die Vergangenheit wird meist gewarnt, dass man extrem aufpassen muss, den Verlauf der Geschichte nicht zu verändern. Aber was hält uns davon ab, heute den Verlauf der Zukunft zu beeinflussen? Angst vor Veränderung? Vor dem Unbekannten? Die Zukunft kommt unweigerlich. Und die Veränderung. Nur seid besser vorbereitet!
Christian Wöhrl
Ich verstehe es einfach nicht, wie Verdrängung so stark sein kann …
Die Pläne von CD/SU und FDP liegen doch offen auf dem Tisch:
— bezahlbare, klimafreundlichere Mobilität in Gestalt des 49-Euro-Tickets ist unerwünscht;
— im Sozialen würden die Herrschaften gern so viel knapsen, dass einiges davon mit Sicherheit nicht grundgesetzeskonform ist;
— AbschiebenAbschiebenAbschieben! und hernach wieder über Fachkräftemangel jammern (aktuelles Beispiel);
— Schuldenbremse beibehalten (v.a. FDP) = Infrastruktur soll weiterhin kaputtgespart werden, sind wohl noch nicht genug Brücken eingestürzt;
— erneuerbare = bezahlbare Energie soll zugunsten der immer teureren Fossilen zurückgefahren werden;
— je schädlicher für Mensch und Klima eine Subvention, desto begeisterter wird sie beibehalten;
usw. usf.
Würde man rational an eine Wahlentscheidung herangehen, dann wäre doch klar, dass niemand unterhalb der Vermögensklasse Multimillionär an dieser Agenda interessiert sein kann (und auch dieser Typus nur, wenn die kurzsichtige Gier stärker ist als jegliche Reste von Anstand und Moral). Und trotzdem hat dieser unangenehme Finanzlobbyist, programmatisch wie charakterlich Trumps kleiner Bruder, aktuell die besten Aussichten, hier Kanzler zu werden. Wie kann das sein?
Aebby
Die Profiteure der Merz-Söder-Lindner-(und AFD) Politik sind die Multimillionäre – sonst niemand. Die virtuelle per Propaganda definierte Zielgruppe glaubt sich auf der Seite der Gewinner. Das böse Erwachen aus diesem Wunschtraum wird zwangsläufig kommen.
Meine Vermutung ist, dass die Verdrängung so gut funktioniert, weil ein Eingeständnis dessen, dass seit Jahrzenten in die falsche Richtung gewirtschaftet (und gewurschtelt) wurde, zu schmerzhaft wäre.
Ich weiß gerade nicht weiter :-/
Christian Wöhrl
Deinen letzten Satz unterschreib ich sofort. Nichts machen/sagen kommt zwar nicht infrage, aber ob es was nützt, daran kann man berechtigte Zweifel haben.
Es ist mir wirklich ein Rätsel, wo die konservative Mitte geblieben ist. Schöpfung bewahren, Menschenfreundlichkeit auch über die eigene Nation und Gesellschaftsschicht hinaus, … das sollten doch für Parteien mit C im Namen und für ihre Anhängerschaft klassische Grundwerte sein?
Christian Wöhrl
Liest du übrigens manchmal das Blog von Tadzio Müller? Der denkt ja auch sehr intensiv über Verdrängung nach, diese Woche auch über das hier verhandelte Thema:
https://steadyhq.com/de/friedlichesabotage/posts/93da321c-f26b-4295-b5b7-5d20e4516e8d