Randbemerkungen

Divide et impera

Merkt ihr’s? Es klappt schon wieder: ⇢ Tabu­bruch hin, ⇢ Partei­austritte, ⇢ Rüffel der Ex-Kanzlerin und ⇢ zurück­gegebene Verdienst­kreuze her – alles ganz egal, Haupt­sache, es wird mal wieder nur über Migra­tion geredet. Und fast alle, ich nehme mich da nicht aus, fallen drauf rein. Selbst ansonsten vernünf­tige Menschen hört man hier und da sagen, in der Sache habe der Herr Merz ja doch recht …

Aber je inten­siver wir über Migra­tion reden, desto weniger Gelegen­heiten gibt es, über die wirk­lichen Pro­bleme des Landes zu reden. Womit ich nicht sagen will, dass es rund um Migra­tion keine Pro­bleme gibt – das wäre offen­sicht­lich falsch –, aber sie werden massiv aufge­bauscht nach einem Muster, das klar erkenn­bar ist, sobald man weiß, worauf zu achten ist.

Mit ein klein wenig Recherche jenseits der Start­seiten von Boule­vard-Portalen würde man beispiels­weise erfahren,
— dass fürs laufende Jahr aktuell (v.a. wg. Syrien) mit einem signi­fikanten Rück­gang der Asyl­bewer­benden-Zahlen gerechnet wird,
— dass der lang­fristige Trend bei Gewalt­krimi­nalität in Deutsch­land ers­tens rück­läufig ist und sich zwei­tens eher umge­kehrt propor­tional zur Anzahl „Nicht-Deutscher“ verhält,
— dass hier­zulande aller­dings immer noch ziem­lich exakt eine Frau an jedem Tag des Jahres von ihrem Partner ermordet wird, was jedoch (deutsche Täter, weib­liche Opfer – alles nicht so schlimm?) bei gewissen Kanzler­kandidaten noch nie zu bekannt gewor­denen Gewissens­regungen führte.

Dennoch: Natür­lich stellt uns Migra­tion vor gewisse Heraus­forde­rungen, vor allem, wenn wir bedenken, dass in Kommunen und Land­kreisen die finan­ziellen Mittel für Inte­grations­maßnahmen, psycho­soziale Versor­gung oder auch nur menschen­würdige Unter­bringung chro­nisch knapp sind. Aber dieser Mangel­zustand ist poli­tisch gewollt: Denn in Deutsch­land ist genug Geld da, es fließt nur eben nicht dort­hin, wo es gebraucht wird, sondern systema­tisch dorthin, woher die lukra­tivsten Partei­spenden kommen.

Es ist ja kein Zufall, dass die Parteien, die am 29. Januar diesen infamen rassi­stischen, anti­euro­päischen Antrag durch­gebracht haben, genau die­selben sind, die ausweis­lich ihrer Programme die Reichsten auf Kosten der Ärmsten und auf Kosten des Gemein­wesens immer noch reicher machen wollen. Ebenso wie es kein Zufall ist, dass diese Par­teien genau dieje­nigen sind, die für reale, drän­gende Pro­bleme wie
— Klima­krisen-Bekämpfung und -Anpas­sung,
— immer weiter aufsprei­zende Arm-Reich-Schere,
— zukunfts­fähigen Umbau der Wirt­schaft
über­haupt keine Lösungen anzu­bieten haben.

Und genau davon wollen CDU, FDP und AfD ablenken: Auf gar keinen Fall dürfen wir, wenn es nach ihnen geht, anfangen, über Pro­bleme zu sprechen, die sich gemein­schaft­lich oder soli­darisch lösen lassen, denn auf diesem Gebiet sind sie völlig blank. (Faust­regel: Solida­rität ist das Gegen­teil von Merz.) So greifen sie zu einem seit Jahr­tau­senden bewährten Mittel: divide et impera, teile und herrsche – durch perma­nente Desinfor­mation wird all die Wut, die berech­tigter­weise auf sie selbst gerichtet sein sollte, so kana­lisiert, dass sich alle Wütenden (die ja rein quanti­tativ bequem sogar eine verfas­sungs­ändernde Mehr­heit stellen würden) gegen­seitig an die Gurgel gehen. Und ⇢ von Davos aus betrachten sie’s mit Genug­tuung, machen noch eine Magnum­flasche auf und stoßen an auf „Tax the Rich“1 …

Lasst uns darauf bitte nicht länger rein­fallen!

***

In diesem Zusammen­hang noch Links zu zwei Redebeiträgen cooler Frauen im Bundestag:

Ricarda Lang 30.1.Heidi Reichinnek 29.1.


  1. ja, dies ist ein etwas delikater Link. Aber der Typus, der hier beschrieben ist, das ist nun mal der, in dessen Auftrag Friedrich Merz offensichtlich tätig ist … ↩︎

3 Comments

  • Der Wilhelm

    Tja…….
    Eigentlich ja fast schon Business as usual, was Du im ersten Satz ansprichst und sicher aus der Sicht des Merz nichts weiter als Kollaterlschaden.
    Denn (das hat er selbst gerade mal wieder so formuliert) er guckt ja nur geradeaus…. wie fast alle Sauerländer es tun (Müntefehring war auch ein gutes Beispiel dafür. und Lübcke auch)
    Aber was sieht man, wenn man im Sauerland (und speziell in Brilon) nur gerade geradeaus guckt?
    Lediglich Wald und die Abhänge der nächsten Berge, aber nicht was dahinter liegt.Folglich interessiert den Sauerländer meist auch nicht, was auf der anderen Seite des Huckels liegt.
    Und genauso kommt mir der Merz auch gerade vor. Denn der guckt ja auch nicht weiter als auf sein Ziel, Kanzler werden zu wollen, aber scheint nicht zu bedenken, was nach der Wahl kommen soll.
    Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum er tut, was er tut und warum er potentielle Koalitionspartner so an die Wand drängt

    • Christian Wöhrl

      Ja, die individuellen Motive – darüber grüble ich auch immer mal wieder. Es gibt da aktuell ja sehr unterschiedliche Typen in der CDU: also solche, die in der Kommunikation schon ziemlich authentisch rechtsextrem rüberkommen, andere, denen man eher zutraut, der AfD mehr aus Angst zu signalisieren, dass sie ja auch prima Nazis seien … tja, aber Merz: Hat der außer seinen ziemlich offensichtlichen Charakteristika (Macht-)Gier und Unbeherrschtheit überhaupt irgendwelche Eigenschaften? Der Mann ist ein Rätsel, aber ein beängstigendes.

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