Randbemerkungen

Der Gendarmenmarkt als Symptom

Als ich neulich die ersten Bilder des frisch sanierten Gendarmen­markts in Berlin sah, dachte ich, Wie däm­lich muss man sein, um im 21. Jahrhundert eine der­artige Hitze­stau-Einöde ohne das geringste biss­chen Sonnen­schutz in die Innen­stadt zu pflas­tern? Aber einem ⇢ Kommentar im Deutsch­land­funk zur ⇢ Jahres­bilanz 2024 des Deut­schen Wetter­dienstes entnehme ich, dass bei der Planung kom­mende Extrem­wetter-Ereig­nisse sehr wohl berück­sichtigt wurden: Für schnelle Versi­ckerung von Stark­regen durch entspre­chende Anlage des Unter­grundes ist beispiels­weise gesorgt.

Eine solche Art der Stadt­planung ist also nicht dämlich, sondern viel­mehr bös­artig – indem sie nämlich die Rea­lität und Dra­matik der Klima­krise aner­kennt und zugleich zu verstehen gibt, dass in diesem neu gestal­teten Bereich der Innen­stadt unter Bedin­gungen, die erwart­bar immer häu­figer werden, bestimmte Menschen­gruppen nicht mehr erwünscht sind. Nament­lich sind das die Gruppen beson­ders Junger, beson­ders Alter sowie all jener, die gesund­heit­lich beein­trächtigt sind. Wer eine solche Stadt plant, inter­essiert sich nur noch für die Belange von Menschen in der Blüte ihres Lebens und bei voller körper­licher Leistungs­fähigkeit – lupen­reiner Sozial­darwinismus.

Illustration eines altmodischen blauen StraßenSchildes mit der Aufschrift "Platz des sozialen Darwinismus"

Damit sehe ich den Berliner Gendarmen­markt als Symptom einer größeren Entwick­lung deutsch­land- und weltweit:

Wenn Klima­schutz im Sinne einer Begren­zung der klima­tischen Ände­rungen als geschei­tert gilt und buchstäb­lich sämt­liche Energie nur noch in Anpassungs­maßnahmen inves­tiert wird (⇢ hier ein wei­terer DLF-Kommentar, der stark in diese Rich­tung argumen­tiert), dann sind wir in der Ära der Hunger Games ange­kommen. Denn eine Erde, die sich in wenigen Jahr­zehnten um weit mehr als 2°C durch­schnitt­lich erhitzt, wird zunächst an bewohn­barer Fläche einbüßen und ebenso an Fläche, die sich zur Nahrungs­erzeugung bewirt­schaften lässt. Lang­fristig mag sich das durch die Verschie­bung der Klima­zonen etwas ausgleichen, aber kurz­fristig sind erst einmal nicht mehr genug Ressourcen da, um die derzeit exis­tierende Welt­bevöl­kerung zu versorgen, die Kämpfe um einen Platz am Tisch werden noch hef­tiger, und Aber­millionen, womög­lich Milliarden vermeid­barer Todes­opfer sind die absehbare Folge.1

Und damit ist die Frage akut: Sollten wir viel­leicht doch versuchen, die Erdsystem­krisen best­möglich zu begrenzen, um möglichst vielen Menschen in allen Teilen der Welt ein menschen­würdiges Leben zu ermög­lichen – das aber um den Preis niedri­gerer Konsum-Level in jenen Regionen, die mit den Ressourcen des Planeten bisher am verschwen­derischsten umge­gangen sind? Oder lassen wir die Krisen einfach laufen und passen uns an – in dem Bewusst­sein, dass wir dabei die Hälfte, drei Viertel oder einen noch größeren Teil der Mensch­heit notwendig über die Klinge springen lassen, und in der vagen Hoff­nung, dass wir selbst zu den paar Prozent gehören, die wichtig genug sind, weiter­leben zu dürfen, um der Geld­elite das Essen zu schlachten und den Hintern abzuwischen?

Die Entwick­lung im poli­tischen Diskurs der letzten Monate zeigt leider deut­lich: Nicht nur in den USA – dort ist es bloß beson­ders offen­sicht­lich –, sondern auch bei uns hat sich der sog. Konser­vatismus für Variante 2 entschieden. Für die kommenden Jahre unter einer Bundes­regierung, die genau dafür gewählt wurde, lässt das viel Häss­lich­keit erahnen.


  1. Dass diese Versorgung schon heute nicht gerecht funktioniert, obwohl sie theoretisch sehr wahrscheinlich noch möglich wäre, sei an dieser Stelle nur erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. ↩︎

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