Es ist ja nicht die Politik allein
Als konservativer Kolumnist speziell in der Erscheinungsform alter weißer Mann hat man es dieser Tage nicht leicht. Als seien der Moderne noch immer nicht genug Opfer gebracht allein dadurch, dass man nun schon seit anderthalb Jahrzehnten eine Frau als Bundeskanzler duldet, beginnt der Plebs nun plötzlich so laut über, pfui Deifi, Klimaschutz zu sprechen, dass es zumindest für den Moment nicht mal mehr die Lieblingsparteien ignorieren können.
Nun geht die Angst um in diesen Kreisen. Manchmal treibt sie so niedlich-verklausulierte Blüten wie diese Poesiealbum-Lyrik, manchmal wird sie mit Atomkraft-Nostalgie explizit – allein die Andeutung einer Ahnung, dass politisches Weiter so bald nicht mehr gefragt sein könnte, lässt den Angstschweiß perlen.
Dabei ist die Bundespolitik nur ein Symptom und nicht das Hauptproblem: Nahezu gleichgültig, ob ab dem kommenden Herbst der Bremser aus NRW oder doch eher eine bereits im 21. Jahrhundert angekommene Person Bundeskanzlerïn ist – jede Regierung wird klimasensibler agieren müssen als die bisherigen, unter internen wie externen Zwängen. Aber sinnvolle, zukunftsfähige Entscheidungen werden sich nur treffen lassen, wenn sie grundsätzlich von der Bevölkerung mitgetragen werden. Und der Beitrag, den Deutschland weltweit zum Ziel möglichst baldiger Netto-Nullemissionen zu leisten hat (ja, trotz oder gerade wegen seiner grade mal zwei Prozent! *), geht nun mal weit über das hinaus, woran wir uns bisher an umweltfreundlichem Verhalten gewöhnt haben.
Und ich glaube, was den alten weißen Männern in ihren Redaktionen solche Angst macht, das ist der Umstand, dass sie das wohl schon besser begriffen haben als viele ihrer Leserïnnen: Die Grundannahmen des kapitalistischen Konservatismus greifen nicht mehr. Konsum und konventionelles Wachstum, zentriert um fossile Energiewirtschaft, machen die Welt nicht besser, sondern schlechter. Öfters mal seinen Zivilpanzer am Flughafen abzustellen, um zum Shopping das Land oder den Kontinent zu wechseln, wird sehr bald nicht mehr als Ausweis verfeinerten Lebensstils wahrgenommen werden, sondern als fortgeschritten asozial. Aber auch auf deutlich niedrigerem Niveau werden Dinge nicht mehr tragbar sein: Die Lösung für das Problem zu vieler Verbrenner auf den Straßen besteht weder in gleich vielen gleich großen E-Kfz noch darin, dass der ÖPNV bitte auch das kleinste Dorf im Viertelstundentakt erschließen möge, sondern notwendigerweise in weniger Verkehr. Viel weniger, beruflich wie in der Freizeit. Vergleichbares gilt für Bereiche wie Konsum, Ernährung, Warenproduktion und Dienstleistungen – es wird nicht mehr darum gehen, dasselbe zu tun wie bisher, nur in der Öko-Variante, sondern darum, wie wir uns als Individuen und Gesellschaft grundsätzlich neu orientieren können. Wie wir unter Rückgriff auf sehr viel weniger Ressourcen als bisher leben und dabei zufrieden sein können. Kurzum, in letzter Konsequenz stellt die Klimakrise die Systemfrage, und intelligente Konservative wissen das natürlich.
So kämpfen sie nun um jedes Fitzelchen verbleibender Deutungshoheit. Zwei Stunden nach der oben erwähnten Spiegel-Kolumne erschien im selben Medium eine Umfrage, laut der mit Abstand die meisten Befragten der CDU/CSU gutes Krisenmanagement im Falle von Naturkatastrophen zutrauen (gegen Ende des Artikels). Natürlich wäre die interessantere Frage gewesen, welcher Partei man zutraut, die Risiken für zukünftige Naturkatastrophen abzumildern, aber dazu stand nichts drin.
Hier dürfte denn auch weiterhin die Kernkompetenz konservativer Politik liegen: nicht in der Vor-, sondern der Nachsorge. Immer erst mal abwarten, wird schon nicht so schlimm werden; und wenn doch, dann wird repariert – sorgt ja irgendwie auch für Wachstum … Die zahlreichen gut begründeten Zweifel daran, dass dieser sozusagen klassisch-reaktionäre Ansatz noch mehrere Generationen lang funktionieren kann, sollten inzwischen Allgemeinwissen sein – es ist unsere Verantwortung, aus diesem Wissen etwas zu machen.
* danke für den Hinweis, Uli!
8 Comments
Thore
„There is no glory in prevention!“ – Wie schon mehrfach während der Corona-Situation geäußert wurde. Lockdown zur Verhinderung hoher Infektionszahlen werden hinterher als überflüssig verurteilt, weil die Zahlen (gerade wegen des Lockdowns) ja gar nicht so hoch gegangen sind.
Und wer ist dem im Krisenfall der Held? Wenn Du Dir die Flossen an der heißen Herdplatte verbrannt hast? Der, der den Herd abstellen will oder der, der Dir einen Eisbeutel gibt?
cwoehrl
Stimmt, die Analogie passt. Wobei die Folgen unzureichender Prävention im Klimabereich vielleicht heute schon deutlicher wahrnehmbar sind, als es die Covid-Folgen eingangs der Pandemie waren. Womöglich aber noch immer nicht deutlich genug – ist ja nicht jede:r so hitzeempfindlich wie wir zwei, und auch die Opfer von Hitzesommern bleiben letztlich meist abstrakt. Wäre halt schön, wenn es nicht noch mehr Katastrophen wie zuletzt in und um die Eifel bräuchte für die Bewusstseinsbildung …
Thore
Solche Starkregenfälle wie jetzt aktuell gab es schon öfter und wird es immer geben (=Wetter). Nur halt bei uns immer öfter und heftiger (=Klima). Die Hochwasser waren zusätzlich verstärkt durch die ganzen Flussbegradigungen und Bodenversiegelungen, die die Folgen zum Teil auch erst so katastrophale Ausmaße annehmen ließen.
Christian Wöhrl
Bodenversiegelung scheint mir generell ein noch unterschätztes großes Thema zu sein. Allein in meiner unmittelbaren Umgebung wurden in jüngster Vergangenheit diverse neue Gewerbegebiete ausgewiesen, die dann oft genug von Unternehmen besiedelt wurden, die zwanzig Jahre vorher erst hundert Meter weiter gebaut hatten. Investition abgeschrieben, weiterziehen. Die „alten“ Areale stehen dann gern mal jahrelang leer, imprägnieren den Boden aber immer noch gründlich gegen Feuchtigkeitsaufnahme … Ich bin sehr gespannt, ob sich da zu meinen Lebzeiten noch ein Umdenken wird beobachten lassen.
Thore
Solche versiegelten Brachen sollten zwangs-renaturiert werden!
Irgendwo las ich zu einem Hochwasser-Artikel einen Leserbrief, der das Thema Bodenversiegelung schon im Kleinen beschrieb. Ein unbefestiger Weg am Hang oder Hügel oder sowas, der nach Schietwetter halt mal ein-zwei Tage voller Pfützen und matschig war und notfalls eben nur mit Gummistiefeln begangen werden konnte. Der wurde irgendwann zur besseren Benutzbarkeit asphaltiert. Und nun ergießen sich bei jedem stärkeren Regen Sturzbäche der Gravitation folgend was auch schon zu einigen Unterspülungen geführt haben soll. Ein klassischer Fall von verschlimmbessert.
Christian Wöhrl
Bei Pflicht-Entsiegelung unter diesen Bedingungen wäre ich sofort dabei. – Paar ergänzende Links noch: Heute war im Krautreporter-Newsletter ein Verweis zu einem Physiker, der sich prägnanter, als ich es könnte, darüber auslässt, warum „Verzicht“ in diesem Kontext das falsche Framing ist. Und ein bisschen länger, aber sehr spannend hier etwas Klimaschutz-Geschichte in der Politik – Himmel, was waren Matthöfer und Co.
ihrer Zeit voraus… Nein, sie waren auf der Höhe der Zeit, die Mehrheit war es noch nicht und ist es bis heute nicht.Aebby
Der Satz ist zum Ausdrucken oder hinter die Ohren schreiben …
Die Grundannahmen des kapitalistischen Konservatismus greifen nicht mehr. Konsum und konventionelles Wachstum, zentriert um fossile Energiewirtschaft, machen die Welt nicht besser, sondern schlechter.
Das Bittere ist, dass dieser Gedanke weit davon entfernt ist akzeptiert zu sein.
Aus der Diskussion @Thore … die Analogie mit der Herdplatte ist wirklich gut und Matthöfer hatte ich tatsächlich vergessen.
cwoehrl
Das Bittere ist, dass dieser Gedanke weit davon entfernt ist akzeptiert zu sein.
Das stimmt wohl – auch wenn ich mich bemühe, beim täglichen Medienkonsum nicht nur in meiner eigenen Blase zu bleiben, dürfte die Stimmung bundesweit längst nicht so änderungsfreudig sein, wie ich sie wahrnehme. Was tun also, wenn Verzweifeln keine Option ist …?