Großvaters Fotowissen
Ist ja nicht so, dass ich nicht schon das eine oder andere Dutzend Foto-Lehrbücher besäße – aber dieser Tage flatterte mir ein besonders interessantes Exemplar ins Haus:
Hans Windischs Die neue Fotoschule ist von 1937 und brachte mich immer mal wieder zum Schmunzeln, aber öfter noch zum Nachdenken darüber, mit wie viel Detailwissen in den Kindertagen der Fotografie gearbeitet wurde. Ein paar Notizen zu diesem Buch, garniert mit einigen meiner Planfilm-Aufnahmen aus den letzten Wochen …
Ich hätte das aufs Jahrzehnt nicht sagen können, aber offensichtlich war kurz vor dem Krieg der heute übliche panchromatische, also übers gesamte sichtbare Spektrum empfindliche Schwarzweißfilm noch ziemlich neu. (Die Glasplatten der ersten Jahre und auch sehr frühe Film-Emulsionen waren orthochromatisch, für Rot nicht sensibilisiert.) Und aus damaliger Sicht hieß das (Windisch, S. 23): Farbfilter braucht man bei unseren modernen panchromatischen Schichten im allgemeinen nicht. Viel später dann, in den frühen 1980ern, als ich mich erstmals mit Fototheorie beschäftigt habe, war hingegen weithin Konsens, dass für tonwertkorrekte Schwarzweiß-Fotografie ein Satz Farbfilter nebst Kenntnis ihres sinnhaften Gebrauchs unabdingbar sei, zumindest ein Gelb- oder Gelbgrünfilter aber standardmäßig aufs Objektiv gehöre. Der Geschmack bezüglich der Tonwertwiedergabe muss sich in diesem halben Jahrhundert also deutlich geändert haben – dramatischen Wolkenhimmel mit Dunkelrot-Filter etwa hätte Herr Windisch vermutlich strikt abgelehnt.
Auch nicht klar war mir bisher, dass die heute gängige Blendenreihe 4–5,6–8–11 usw. damals die internationale Norm war und die heute eher exotischen, um eine Drittelblende versetzten Werte, die man manchmal auf alten Kameras findet, 4,5–6,3–9–13 usw., die deutsche Norm darstellten. Wie gut, dass sich die nicht durchgesetzt hat: Sonne lacht, Blende neun, wer soll sich denn das merken?
Unter vielen liebenswert aus der Zeit gefallenen Tipps dieses Buches mein liebster (S. 183):
Gute Porträts sind nicht nur eine technische Angelegenheit, sondern vor allem auch eine der guten Stimmung […] Ein Glas Wein tut oft bessere Dienste als eine weitere starke Lampe.
Ernsthaft beeindruckend wird’s im ausführlichen Abschnitt über die Dunkelkammer-Arbeit mit diversen Rezepten zum eigenen Anmischen von Feinkorn-, Ausgleichs- und diversen anderen Entwicklern. Das ist dann allerdings auch der Bereich, in dem ich mich einmal mehr frage, wie viel vom Wissen und Können der Altvorderen wir wirklich durch praktisches Arbeiten lebendig erhalten sollten: Denn da wird erstens mit teils hochgiftigen Materialien hantiert, und wer nicht nahezu täglich im Labor arbeitet, dem wird zweitens die viele unterschiedliche Chemie ja auch schnell alt und muss dann ungenutzt entsorgt werden. Ich zumindest, mit meinen paar Bildern pro Monat, bin definitiv besser bedient mit meinem Standardprozess, der nur eine Sorte Entwickler für alle Filme vorsieht und nichts richtig gut kann, aber alles ein bisschen. Nach dem Kriterien von Herrn Windisch anno 1937 wäre das halt lupenreiner Dilettantismus.
Dennoch: Wie es in der Schwarzen Kunst wirklich nicht schade drum ist, dass der Bleisatz im Mengendruck keine Rolle mehr spielt, so ist auch in der Fotografie die Laborarbeit auf hohem Niveau nicht mehr massentauglich, einfach aus Gesundheits- und Umweltgründen. Andererseits wäre es halt schon ein arger Verlust für das kulturelle Gedächtnis der Menschheit, wenn all diese vormals so wichtigen Techniken und Fertigkeiten gänzlich verschwinden sollten – hoffentlich sterben professionelle Laboranten und Tireurs noch nicht kurzfristig aus …
Wo es eindeutige Fortschritte gab: Um 1937 waren Nitraphot-Lampen der Standard für Kunstlicht-Fotografie, und die hatten eine sehr bescheidene Brenndauer, je nach Typ konnten es mal nur zwei Stunden sein. Und es erschien dem Autor ratsam, eine Formel mitzuliefern, um ausrechnen zu können, ob die Hauselektrik drei oder doch nur zwei solcher Lampen verkraftet … Manche Dinge sind aus heutiger Sicht wirklich schwer vorstellbar.
Faszinierend wiederum fand ich manche Faustregeln, etwa die Kreuzregel (Seite 77). Wie mische ich zwei Stammlösungen unterschiedlicher Konzentration, um auf eine dritte mittlere Konzentration zu kommen? Total simpel: Man schreibt oben in zwei Ecken die Ausgangs-Konzentrationen auf und in der Mitte darunter die gewünschte Mischung, dann trägt man unten über die Diagonalen die jeweilige Differenz der zwei Werte ein:
Und schon lässt es sich in der Vertikalen ablesen: Man nehme 2 Teile der 20%igen und 10 Teile der 8%igen Lösung, um 10%ige Lösung zu erhalten. Raffiniert, was? Lernt man so was heute eigentlich noch in der Schule?
So, vom selben Autor habe ich auch noch Kleinbild-Jagd auf Dinge und Menschen hier liegen, aber bevor ich darüber noch was schreibe, wäre beizeiten was über das fast hundert Jahre jüngere, aber auf seine Art auch sehr retro-charmante Heimwerken in der Fotografie zu berichten … Stay tuned 🙂
4 Comments
derbaum
machen wir – mit geweissheit!
Bernhard
Lieber Christian,
ich besitze auch ein paar solch alter Fotoratgeber. Da sind doch immer wieder interessante Tips dabei (Bildgestaltung und so) manche, wie die Sache mit dem Wein, sind auch zum Schmunzeln …
LG Bernhard
Aebby
Dieser „Windisch“ steht bei mir auch im Regal.
cwoehrl
Schon interessant, nicht? Aber aus heutiger Sicht wohl kaum nachdruckfähig, allein das unsägliche Geschlechterrollen-Bild: Der Mann bedient aktiv und entschlossen das technische Gerät, und die Frau sitzt vor der Linse und hat bitteschön dekorativ zu sein …