Randbemerkungen

Wahrhaftigkeit als Auslaufmodell

Wahrhaftig­keit – so ein schönes Wort, phone­tisch wie inhalt­lich. Und so altmo­disch: Denn als rele­vante Kate­gorie der politi­schen Kommu­nika­tion hat die Wahr­haftig­keit ausgedient, und die Lüge ist salon­fähig geworden.

Nun war die Politik wohl nie als beson­ders ehr­liches Geschäft bekannt; aber spätes­tens mit Donald Trump hat ein sehr spezi­eller Typus seinen Sieges­zug ange­treten, nämlich der des patho­logischen Lügners, der gene­rell nicht mehr zwischen Wahr­heit und Lüge unter­scheidet, sondern nur noch zwischen Aus­sagen, die ihm nützen oder eben nicht. Doch während sich dieser Spuk auf der anderen Seite des Atlan­tiks inzwischen (vorerst?) wieder erle­digt hat, nimmt die Sache in Europa gerade erst Fahrt auf.

Beson­ders deutlich zu sehen ist das bei unseren briti­schen Nach­barn, die sich einen Premier­minister mit ähnlich aben­teuer­lichem Verhältnis zur Wahrheit leisten, wie es zuvor der Kollege in den USA zur Schau stellte. Dass das nicht origi­nell, sondern brand­gefähr­lich ist, sollte klar sein. Aber auch bei uns hat die Wahr­haftig­keit einen zuneh­mend schweren Stand: Zwar werden ober­fläch­liche Unehr­lich­keiten wie die von Anna­lena Baerbock über Wochen mit morali­sierendem Furor hochge­jazzt, als gebe es nichts Wichtiges auf der Welt, doch auf der Gegen­seite darf der Mitbe­werber der CDU ums Kanzler­amt wieder­holt und in sehr viel gravie­renderen Dimen­sionen lügen, dass sich die Balken biegen (Quellen, exem­plarisch: 123), ohne dass es seiner Beliebt­heit bislang erkennbar Abbruch täte.

Wie kann so etwas sein? Wohl keine Genera­tion vor uns hatte ähn­lich gute Werk­zeuge zur Hand, Fakten zu prüfen und von Lügen zu unter­scheiden, man müsste sich nur dafür inter­essieren. Ist Wahr­haftig­keit als solche heute nichts mehr wert? Und wissen dieje­nigen, die noto­rischen Lügnern die Treue halten, nur zu gut, was Sache ist, oder wollen sie es bequemer­weise lieber nicht wissen – weil das bedeu­ten würde, sich mit womöglich unbe­quemen Fakten ausein­ander­setzen zu müssen?

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