Notizen zu Afghanistan u. a.
Von Afghanistan weiß ich wenig. Daher kann ich mir kein Urteil darüber erlauben, ob die Bevölkerung dieses Landes kulturell oder strukturell dazu in der Lage wäre, ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen am Laufen zu halten. Aber unabhängig von der nominellen Organisationsform des Staates hat es kein Mensch dieser Welt verdient, de facto unter einem Terror-Regime leben zu müssen. Deshalb empfinde ich das, was dort gerade passiert, als ungeheure Katastrophe.
Katastrophal falsch war aber auch das, was vorher dort passiert ist im Namen des so genannten Krieges gegen den Terror. Man spricht ja sonn- und feiertags gern mal von der westlichen Wertegemeinschaft, ha!, aber was sollen das für Werte sein, für die man mithilfe asymmetrisch-feiger Kriegsführung überzeugend Werbung betreiben würde? Sehr dumme und/oder sehr böse Menschen (die es z.B. auch unter hoch bezahlten Leitartikelschreibern gibt) behaupten jetzt ja, das Problem sei, auf die Pazifisten und ihr „raus aus Afghanistan“ gehört zu haben; aber das Problem war seit dem ersten Tag, dort überhaupt hingegangen zu sein ohne Konzept, aber mit viel Munition. What was it good for? Absolutely nothing, würde er sagen. Wobei natürlich manch anderer mit dem Verlauf der letzten zwanzig Jahre sehr viel zufriedener sein kann, auch hier wirken die Märkte selektiv segensreich.
Jetzt ist dieser Krieg erst mal vorbei, und das ist gut. Schlecht ist, nach aller bisherigen (in meinem Fall: angelesenen) Erfahrung, was die Bevölkerung Afghanistans von den neuen Machthabern zu erwarten hat. Deshalb wird man mit diesen pseudoreligiösen Terroristen sprechen müssen – um Wirtschaftsbeziehungen und Hilfstransfers an die dokumentierte Einhaltung fundamentaler Menschenrechte zu koppeln, und zwar für alle Einwohnerïnnen. (Denken wir uns an dieser Stelle einen Stoßseufzer – das klappt ja nicht mal in der EU … Trotzdem.)
Derweil könnte der Westen, der sich traditionell viel auf seine kulturelle Überlegenheit einbildet, tatsächlich mal wieder eine Vorreiterrolle übernehmen: indem er nämlich eine Wertegemeinschaft bildet, die diesen Namen verdient, und endlich konsequent Treibhausgas-Emissionen bekämpft statt immer nur Menschen anderer Kulturkreise. Das wäre mal ein attraktives Exportmodell für den Rest der Welt, und man müsste dafür keine einzige ferngesteuerte Bombe abwerfen …
Ich habe da oben das Wort böse gebraucht. Unter normalen Bedingungen würde ich das keiner Gesprächspartnerïn zuschreiben, denn Gut/Böse ist einfach keine geeignete Kategorisierung im zivilisierten Diskurs. Allerdings stelle ich in den letzten Wochen und Monaten fest, dass auf einigen Gebieten die schiere Dringlichkeit der Umweltproblematik meine Bereitschaft senkt, mich mit relativistischer Prämisse auf Gespräche einzulassen. Einfacher gesagt: Meine Geduld ist am Ende. Nächstes Jahr im März jährt sich zum 50. Mal das Erscheinen von The Limits to Growth, seit 50 Jahren tun wir zu wenig, um den Fortbestand unserer Spezies zu sichern, wir haben einfach keine Zeit mehr für Krieg und so’n Schiet. Und niemand mit Entscheidungsbefugnis kann mehr sagen, er wisse das nicht – wer bewusst immer noch individuelles Macht- und Erfolgsstreben, Konkurrenzdenken, aggressiven Wettbewerb höher ansiedelt als das Ideal gemeinsamer Problemlösung mit dem Ziel, nachfolgenden Generationen die Lebensbedingungen nicht noch mehr zu versauen, als das ohnehin abzusehen ist, der/die ist in meinen Augen ein böser Mensch. Ja, manchmal ist es so einfach.
Und noch ein zweiter Link zu Heises Telepolis-Magazin, wo manchmal zwar selbst für meinen Geschmack etwas zu revolutionslyrisch getextet wird, aber inhaltlich ist halt oft Bedenkenswertes dabei. Heute gab es zum Beispiel einen Artikel, nach dessen Lektüre ich mich fragte, wieso wir hier so hohe Stücke aufs BVerfG halten und mit dem Finger auf Ungarn oder die Türkei zeigen – so richtig koscher geht es in Karlsruhe wohl auch nicht zu.
4 Comments
Der Wilhelm
Ich danke Dir für diesen Beitrag!
Denn mir geht es ganz ähnlich im Bezug auf den Krieg in Afghanistan und die Wahnsinnsidee,des Mr.Bush die Verhältnisse dort mit Waffengewalt und einer kriegerischen Invasion ändern zu wollen
Das war kein Segen für die Bevölkerung dort, auch wenn ihr Leiden unter der religiös verbrämten Terroristen-Mafia des Taliban dadurch möglicherweise ein paar Jahre nach hinten geschoben wurde.
Dabei hätte man von Anfang an wissen können, dass sich an der grundlegenden Situation in Afghanistan nichts ändern lassen wird, ohne dass diese Veränderung aus der Bevölkerung selbst heraus kommt.
Denn die Gewalt, die als Racheakt für den 11. September 2001 durch die Amerikaner und alle ihre Allierten in dieses Land getragen wurde, konnte nicht ohne Echo und Gegenwehr bleiben – weil es die einzige Antwort war, die seitens der Taliban darauf gegeben werden konnte. Und wohlmöglich ist es sogar so, dass dadurch weitere Teile der Bevölkerung radikalisiert und in die Arme der Taliban getrieben wurden?
Und so scheint mir fast sicher, dass sich die Spirale der Gewalt nicht nur in Afghanistan selbst weiter drehen, sondern auch wieder genauso in die Welt hinaus getragen werden wird, wie es auch schon vor 2001 war.
Die Frage ist halt nur, wie das dann endet, wenn keine Seite bereit ist, auf weitere Racheakte zu verzichten?
Insofern ist meine Prognose auch ziemlich düster, wenn ich über das nachdenke, was nun kommen könnte.
Nicht nur, was die Menschen in Afghanistan angeht, sondern auch bezogen auf das, was wir als Folge der Ereignisse der letzten zwanzig Jahre im Rest der Welt erleben werden.
Denn all das hätte verhindert werden können, wenn damals nicht so kopflos gehandelt worden wäre….. und nicht die Rache, sondern ein Dialog und Verhandlungen im Vordergrund gestanden hätte.
Dann hätte man nicht zwanzig Jahre verschenkt, sondern – vielleicht auch von Rückschritten begleitet – möglicherweise nun eine ganz andere Umgehensweise miteinader gefunden, die sicher auch den Menschen in Afghanistan zugute gekomen wäre und weniger Menschenleben gekostet hätte.
Aber die Chance dürfte nun erstmal verpasst sein….. wenn dieser Weg nicht ganz und gar unmöglich geworden ist.
cwoehrl
Danke dir für deine Gedanken! – Die Hoffnung stirbt zwar zuletzt, heißt es, aber Gründe für Optimismus muss man doch immer länger suchen dieser Tage.
Positiv gedacht: Dein Blog hatte ich bisher nicht „auf dem Radar“, freue mich aber, dass sich das jetzt geändert hat 🙂
aebby
*seufz – wahre Worte, denen ich nur wenig hinzufügen kann.
Was mich aktuell unglaublich wütend macht sind die Überraschung heuchelnden Lippenbekenntnisse der Verantwortlichen und die Verlogenheit. Alles was gerade passiert war absehbar, und ohne die Unterstützung des Westens gäbe es wahrscheinlich keine bewaffneten Taliban, vor diesem Afghanistan Krieg gab es schon andere in denen die Taliban vom Westen aufgebaut wurden.
https://www.tagesschau.de/ausland/asien/taliban-alkaida-is-101.html
Christian Wöhrl
Das ist ja auch alles nicht ohne historische Vorbilder – vermeintlich nützliche Idioten, die sich langfristig als das größere Problem erwiesen; mehr Talent zum Krieg als zum Frieden usw. –, man kann wirklich verzweifeln, wie wenig Lernfähigkeit eine Gesellschaft haben kann.