Liebe unentschlossene Wählerin, lieber unentschlossener Wähler,
viel wird davon geredet, dass die bevorstehende Bundestagswahl eine Klimawahl sei, besonders wichtig, geradezu existenziell.
Denn nach Ansicht der weltweit allermeisten Fachleute bleibt der Menschheit nur noch ein kleines Zeitfenster, um mittelfristig zumindest die schlimmsten Folgen des hausgemachten Klimawandels abzumildern. Und da Deutschland, auch das ist Expertïnnen-Konsens, bislang zu wenig tut, um einen angemessenen Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase zu leisten, ist diese Wahl tatsächlich eine entscheidende Weichenstellung, die über unseren realen Anteil an den weltweiten Emissionen hinaus Vorbildcharakter hat: Denn wenn die bedeutende Industrienation Deutschland es weiterhin nicht für nötig hält, ausreichend große Schritte für den Klimaschutz zu tun, wieso sollten dann andere, größere Volkswirtschaften das tun?
Vordergründig haben denn auch alle demokratischen Parteien ein Bekenntnis zum Klimaschutz in ihren aktuellen Wahlprogrammen. Doch sollten Sie, liebe Wählerin und lieber Wähler, sich davon nicht einlullen lassen. Wenn es Ihnen am Herzen liegt, dass auch Ihre Kinder und Enkelïnnen in einer Welt immer extremerer Klimabedingungen noch ein leidlich erträgliches Leben führen können, dann informieren Sie sich bitte, welche Parteien die insgesamt schlüssigsten Konzepte haben, und wählen Sie gern entsprechend.
Das Internet ist voll von guten Quellen zu diesem Thema, als nur ein sinnvoller Anlaufpunkt sei hier klimareporter.de genannt. Insgesamt werden Sie dann vermutlich nicht an der Erkenntnis vorbeikommen, dass von den im Bundestag vertretenen Parteien tatsächlich keine ein wirklich gutes Klima-Programm hat, wobei die Ideen von Grünen und Linken noch am ehesten als brauchbar einzustufen sind, während CDU/CSU, FDP und SPD zwar viel übers Klima reden, aber möglichst wenig konkret Nützliches tun wollen. Viel lieber verweisen sie auf Innovationen aus dem Bereich des mild Utopischen, wie grünen Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, die ineffizient sind und kurzfristig bestenfalls eine Nischenrolle im Instrumentarium einnehmen können. Angesichts der knappen Zeit, die noch zum Verhindern der schlimmsten Folgen jahrzehntelanger Klima-Ignoranz bleibt, sind das Nebelkerzen, irrationaler Wunderglaube, schlicht verantwortungslos.
Und da die aktuellen Umfragen keiner Zwei-Parteien-Koalition eine Mehrheit einräumen, gibt es demnach derzeit nur eine realistische Option für zukunftsfähige Klimapolitik: Nur bei Rot-Rot-Grün – mit einer nicht allzu dominanten SPD – gibt es eine inhaltliche Mehrheit für echten Klimaschutz. Auch die von vielen sonst fortschrittlich Denkenden favorisierte Ampel wäre koalitions-arithmetisch ein Schritt in die falsche Richtung, weil hier ein leidlich gutes und zwei besonders schlechte Umwelt-Konzepte in Konkurrenz stünden. (Zu einigen Details dazu siehe heute den Beueler Extradienst.) (Ergänzender Einschub, Montagmorgen: Der von mir stets geschätzte Christian Stöcker ist bezüglich der Rolle der Liberalen – zu meinem Erstaunen, aber plausibel argumentierend – weniger skeptisch. Sein Gedankenspiel kann meines Erachtens nur funktionieren, wenn die FDP der deutlich kleinste Partner im Trio und dadurch gezwungen ist, sich von den absurdesten ihrer Klima„schutz“vorschläge zu verabschieden.)
Alles andere als dieser so genannte Linksruck wäre klimapolitisch bestenfalls ein Beharren auf dem Status quo, die Fortsetzung großkoalitionärer Umweltpolitik nach dem zzz-Prinzip (zu wenig, zu langsam, zu spät) und im Zweifel eher im Dienst der fossilen Energiewirtschaft und anderer nicht mehr zukunftsfähiger Industriezweige als im Dienst der Bevölkerung. Und es wäre, man muss das so deutlich sagen, ein Verrat an der Zukunft der jungen Generation um des vermeintlich guten Rechts willen, einen Lebensstil, der längst als nicht mehr nachhaltig erkannt ist, ohne Abstriche weiterführen zu können. Wozu jetzt schon Vorsorge treffen? Lassen wir die Katastrophe doch erst mal kommen, dann können wir (oder mit Glück die Nachwelt) immer noch schauen, was dann zu reparieren ist …
Man muss dabei gar nicht immer bösen Willen, Egoismus oder auch nur Dummheit unterstellen – auch aus Gleichgültigkeit oder frommem Wunschdenken kann man seinen Nachkommen den Krieg erklären.
Man muss das aber nicht tun.
Danke.
7 Comments
Thore
Ich glaube, sehr viele unentschlossene gibt es diesmal eine Woche vor der Wahl nicht mehr, da sicher ein großer Anteil Briefwahl macht und das Ding schon im Kasten ist. Wie bei mir.
Christian Wöhrl
Meine Kreuzchen sind ebenfalls schon lange im Amtsbriefkasten, und ich vermute auch, dass der Artikel speziell für die hier Mitlesenden reines Preaching to the Choir war. Aber ich weiß auch von vielen, die es dieses Mal aus unterschiedlichen Gründen besonders schwierig finden; und außerdem wollte ich ein paar Gedanken, die mir noch im Kopf rumschwirrten, rechtzeitig loswerden statt erst am Wahlabend …
Frau Momo
Unsere Kreuze sind auch schon beim Wahlamt, aber wir haben das unsrige getan, um diesen sog. Linksruck möglich zu machen 🙂
Christian Wöhrl
🙂
Ich mach mir zwar wenig Illusionen, dass das Land als Ganzes ähnlich progressiv ist, wie es sich in weiten Teilen meiner Medienblase darstellt, aber Überraschungen sind ja nicht ausgeschlossen …
uli
Same here. Abgegeben. Aber wenn es noch eine*n Unentschlossene*n noch nach „links rücken“ lässt, war es den Post schon wert. Ich bin gestern mit meiner Mutter (90) und meiner Kleinen (5) links und rechts an der Hand spaziergegangen. Und dann habe ich mal kurz nachgerechnet. Wenn die Kleine so alt ist wie meine Mutter heute, dann schreiben wir das Jahr 2105. Ich kann und will mir nicht recht vorstellen, wie dann die Welt aussieht. Aber ungefähr, was ihre Enkel in Schulaufsätzen schreiben werden: „Noch in den 2020er Jahren wurden wertvolle fossile Rohstoffe einfach verbrannt, um deren Energie für Wärme, Strom und Mobilität zu nutzen – wohl wissend, dass dies gleichzeitig die Atmosphäre weiter anheizen würde. Die heute gesetzlich festgeschriebenen Nachhaltigkeitsstandards wurden damals zwar diskutiert, aber mit dem Argument, dies bedrohe die ‚Freiheit der Bürger‘ (sic!), von einer Mehrheit abgelehnt.“
Christian Wöhrl
Spannender Gedanke. Die Enkel unserer Kinder … goodness, bis dahin wird sich die Welt, wie auch immer, wirklich drastisch geändert haben.
Thore
Das sind so spannende Gedanken! Die hatten sicher schon alle Generationen vor uns. 1936 war Deine Mutter demnach 5 Jahre alt. Vielleicht ging sie da an der Hand ihrer Eltern, die Großeltern oder Urgroßeltern waren auch noch dabei, und die haben damals die gleichen Gedanken gehabt. „Wenn sie mal 90 ist, dann ist 2021! Wer weiß, wie die Welt da sein wird?“. Auch wenn die Weltlage gerade nicht so toll aussieht… 1936 hatte sicher auch so seine dunklen Schattenwürfe für die helleren Köpfe 😉
Ich versuche trotzdem etwas entspannt zu bleiben. Angst oder Panik waren noch nie gute Ratgeber. OK, Angst ist grundsätzlich eine gute Sache. Angst macht wach. Angst macht schnell. Aber wir brauchen ja keine Kurzschlussreaktionen binnen Sekundenbruchteilen sondern zwar schnelle aber wohlüberlegte Entscheidungen.