Sammelnotizen: Klima, Russland
Teurer Wohnen – Kostenfalle Klimaschutz titelt der aktuelle Spiegel. Derselbe Spiegel, der auf seiner Webseite ziemlich prominent ein Ressort »Klimakrise« pflegt, als hätte er was kapiert, wirbt also mit dumpfpopulistischem Klimaschutz-Bashing auf AfD-Niveau um Kundschaft. Den Artikel dahinter habe ich noch nicht gelesen, denn in der Onleihe ist Stand Freitagabend noch die Ausgabe der Vorwoche aktuell (inhaltlich soll er wohl besser sein, als die Headline suggeriert); aber abgesehen davon, dass es natürlich ärgerlich ist, wie die Ampel fragwürdige Plug-in-Hybride weiter fördert, aber bei energiesparendem Bauen streicht, sollte es halt längst eine Binse sein, dass kein Klimaschutz zwangsläufig teurer wird als Klimaschutz, und dann dürfte so eine Zeile auch gar nicht mehr ziehen.
Ebenfalls heute tickerte eine ausgerechnet von Greenpeace beauftragte Studie durch, derzufolge es für die vereinbarten Klimaziele nicht reicht, wenn bis 2030 wie geplant 15 Millionen E-Autos auf die Straße kommen – demnach müssten es noch 5 Mio mehr sein. Himmel, auch das ist so offensichtlich wie nur was: Bis 2030 könnten wir mit ein bisschen gutem Willen auch die sonstigen Bedingungen so beeinflusst haben, dass fünf Millionen Verbrenner (oder auch mehr) wegfallen können, ohne 1:1 durch Autos anderer Antriebsprinzipien ersetzt zu werden. Die könnten dann auch durch besseren ÖPNV, Fahrräder mit/ohne Strom oder generell durch Änderungen der Nutzungsbedürfnisse substituiert werden.
Aber die notwendige Änderung gewisser Gewohnheiten hat es schwer, sich durchzusetzen. Im Nachbarstädtchen z.B. gibt es derzeit allen Ernstes ein Bürgerbegehren zum Erhalt möglichst vieler innenstadtnaher Parkplätze wg. Einzelhandel. Meine Meinung dazu habe ich heute in Kurzform so formuliert: Örtliches Shopping als Gradmesser für Lebensqualität ist ein Konzept aus dem vorigen Jahrhundert. Nicht mehr zukunftsfähig.
Das scheint mir generell ein Problem beim Umgang mit der Klimakatastrophe zu sein: Viel zu viele Leute gehen wie selbstverständlich davon aus, dass wir in zehn oder 20 Jahren noch genauso leben werden wie heute, nur mit anderen Primärenergiequellen – dass wir dann eben, statt mit dem Diesel, mit dem elektrischen SUV zum Einkauf in die Kleinstadt fahren, um dort eine üppige Auswahl an Konsumgütern aller Art vorzufinden. Äh, nein. Wie sollte das gehen? Wir alle sollten mittlerweile wissen, dass die durchschnittliche Mitteleuropäerin* die ihr global-gerechterweise zustehenden Ressourcen um ein Mehrfaches überstrapaziert. Unser Lebensstandard insbesondere mit Blick auf Rohstoff-Verbrauch ist drastisch überzogen, und daran muss sich meiner Überzeugung nach eine Menge ändern; denn die Vorstellung, wir könnten auf der Insel Europa einfach weiterwurschteln und -konsumieren wie gewohnt, wälzt in bewährter Manier die Probleme auf andere Kontinente ab und ist insofern letztlich rassistisch, aber halt auch unfair unseren eigenen Nachkommen gegenüber, die unter unserer Verschwendung zu leiden haben.
Bei alledem weiß ich, dass die Relationen an den Extremen der Gesellschaft noch viel krasser sind: Laut dem aktuellen Oxfam-Report Inequality Kills (Link führt zur Zusammenfassung), woher auch das Artikelbild stammt, emittieren die 20 reichsten Individuen auf der Welt rund 8000x mehr Treibhausgase als die ärmste Milliarde (!)**. Klar kann man nun der Meinung sein, wenn Elon und Jeff das nächste Mal ins All starten, dann wäre viel gewonnen, wenn sie ein One-Way-Ticket buchen. Und ja, ich bin mir auch des Umstands bewusst, dass bereits das Konzept des ökologischen Fußabdrucks eine Erfindung von Verbrechersyndikaten der Erdölindustrie ist, um von eigener Schuld abzulenken. Das alles ändert aber nichts Grundsätzliches daran, dass wir in Mitteleuropa im globalen Maßstab über unsere Verhältnisse leben und in meinen Augen die moralische Pflicht haben, das zu ändern.
Anders als zur Klimakatastrophe habe ich zu Russland/Ukraine keine klare Meinung (mal abgesehen davon, dass ich mir wünschen würde, in den Massenmedien zu diesem Themenkomplex auch mal weniger vorhersehbare Positionen als die eines vormaligen deutschen Kanzlers und heutigen russischen Sonderbotschafters zu lesen). Meine grundsätzlich pazifistische Einstellung lässt sich, fürchte ich, in einer weniger als idealen Welt nicht verlustfrei halten, aber ich weiß einfach viel zu wenig über die Zusammenhänge, um einen eindeutigen Standort einnehmen zu können. Genau deshalb habe ich mich neulich sehr gefreut, (jetzt erst) die Medienplattform dekoder.org entdeckt zu haben – mit übersetzten Beiträgen unabhängiger russischer Medien, ergänzt um wissenschaftliche Hintergrundinformationen, dort Gnosen genannt. Und darüber wiederum den Essay Russland für die Westentasche, der anhand der drei Pole Macht / Volk / Intelligenzija einen sehr lobenswerten Versuch darstellt, dieses rätselhafte Reich verständlich zu machen.
* M und D mitgemeint – ich bin immer noch am Experimentieren, wie ich hier inklusive Sprache praktizieren kann, und das Prinzip des generischen Femininum kommt mir manchmal sehr charmant vor.
** noch ein sehr knackiges Zitat aus dem Oxfam-Report, dort Seite 9, das bloß nicht unmittelbar in den Klima-Kontext oben passt:
A 99% windfall tax on the COVID-19 wealth gains of the 10 richest men could pay to make enough vaccines for the entire world and fill financing gaps in climate measures, universal health and social protection, and efforts to address gender-based violence in over 80 countries, while still leaving these men $8bn better off than they were before the pandemic
3 Comments
Frau Momo
Es ist sicherlich eine moralische Pflicht, unseren Konsum zu reduzieren, aber es ist auch eine überlebenswichtige, wenn wir den Klimawandel mit all seinen Folgen noch stoppen wollen. Die Folgen werden nicht nur unseren Konsum eh einschränken, es werden auch riesige Fluchtbewegungen entstehen, weil die Menschen nicht mehr dort leben können, wo sie jetzt noch leben. Wir entziehen ja jetzt schon vielen Menschen die Lebensgrundlage durch unsere Lebensweise und wenn ganze Landstriche unbewohnbar werden, dann wird das noch weiter zunehmen. Es wird Kriege um Wasser und fruchtbares Land geben usw.
Soweit ich das richtig verstanden habe, wurde die Unterstützung für energetisches Bauen eingestampft, weil die Vorgängerregierung da Mist verzapft hat, aber ich habe mich nicht sehr damit befasst, weil es für mich nicht relevant ist. Ich werde in diesem Leben kein Haus mehr bauchen. Dafür leben wir in einem Passivhaus und sind somit zum Glück nicht allzu sehr von steigenden Heizkosten betroffen.
Christian Wöhrl
Ich wünschte auch, das Thema energetische Sanierung wäre für mich nicht relevant, aber das wird mich leider in absehbarer Zeit mehr beschäftigen, als es mir lieb sein kann: So ein Haus aus den Siebzigern, die meisten Fenster noch Baujahr, die Heizung zwar schon mal saniert, aber halt noch Gas – da wird es in den nächsten Jahren einiges zu tun geben.
Und das ist ja, verglichen mit anderen Teilen der Welt, auf deren Kosten wir leben – völlig richtig, was du da schreibst –, immer noch ein echtes Luxusproblem …
uli
Danke für den Dekoder-Link. Ich hoffe, der neu eingerichtete Feed bringt meine Russland-Kenntnisse auf einen besseren Stand.