Digitales Composing,  Randbemerkungen

Die sogenannte Zeitenwende

Rückblicke zum Jahres­wechsel habt ihr alle sicher schon zur Genüge gelesen, da braucht es nicht noch einen von mir. Ein Punkt ist mir heute aber noch wichtig:

Es war seit Russ­lands Über­fall auf die Ukraine oft von einer Zeiten­wende die Rede, in dem Sinne nämlich, dass dieser Angriffs­krieg die Sicher­heits­lage für Europa verschiebt und der Klima­schutz jetzt nicht mehr so wichtig sein darf. Das ist grund­falsch, denn Ukraine­krieg und Klima­krise sind meines Erach­tens zwei Aspekte desselben Problems.

Ein Querformat – viele regelmäßig angeordnete dünne und kahle Baumstämme stehen auf einem teils grünen, teils hellbraunen Untergrund. Aus der unteren Mitte des Bildes ragt ein bemooster Ast nach links, der sich gabelt, was wie die Hörner eines Stiers aussieht. Die Schärfenebene im Bild folgt dem Verlauf des Astes – der Hintergrund ist unten unscharf und wird nach oben schärfer.

Wladimir Putin ist nur ein besonders bösar­tiger Vertreter des alten weißen fossilen Patri­archats, das sich in vielen Teilen der Welt an Schlüssel­positionen der Macht fest­geklebt hat, um jegliche Entwick­lung hin zu einer gerech­teren Gesell­schafts­ordnung zu blockieren. Einige seiner Geistes­verwandten sind vorüber­gehend abge­löst worden (Trump, Bolso­naro), aber der Typus hält sich, auf zum Glück meist nied­rigerem Nieder­tracht-Level, hart­näckig fast überall im globalen Norden in Regie­rungs- und Oppo­sitions­ämtern ebenso wie in wich­tigen Bereichen von Medien, Wirt­schaft und Gesell­schaft. 

Was diese Herr­schaften (einzelne Frauen mitge­meint) verbindet, ist das Wissen darum, dass ihre Zeit längst abge­laufen ist: Macht­konzen­tration, die sich auf die Ausbeu­tung des globalen Südens und auf die Ausgrenzung aller anders Ausse­henden, Sprechenden, Glau­benden, Denkenden stützt, ist weder legi­timiert noch fähig, zur Lösung globaler Krisen – Klima, Biodiver­sität, Raub­bau endlicher Ressourcen – beizu­tragen. Und die vermeint­liche Zeiten­wende beschreibt ledig­lich den Umstand, dass ein Teil der heißen und kalten Kriege überall auf der Welt zur Vertei­digung zusammen­geraubter Privi­legien 2022 so nah an uns heran­gekommen ist, dass wir sie jetzt nicht länger igno­rieren können – neu aber ist das alles nicht.

Am linken Bildrand ein mit Efeu berankter Baumstamm in engem Ausschnitt. Hinten in starker Unschärfe sechs aufrecht stehende und ein gekippter Baumstamm, zwischen denen intensiv goldenes Licht hindurchstrahlt.

Eine wirk­liche Zeiten­wende, wie ich sie uns für 2023 und folgende wünsche, werden wir erst haben, wenn die Welt (Süd und Nord, Ost und West) ihren fatalen Hang zu Abschot­tung und Ausgren­zung über­windet und in einen Modus globaler Koope­ration übergeht. Nennt mich naiv, aber eine Welt, in der auf einem insge­samt nied­rigeren als dem hiesigen Wohl­stands­niveau Frieden herrscht, kommt mir viel attrak­tiver vor als ein Europa, das seinen global über­höhten Lebens­standard durch immer höhere Mauern vor dem Rest der Welt vertei­digen muss.

Eine Dolde eines RiesenBärenKlau von schräg unten gegen den Himmel fotografiert, die sternförmige Dolde sieht ein bisschen wie ein KettenKarussell aus.

Und auf dem Weg dahin sind mir auch weiter­hin Menschen, die auf Straßen kleben, um auf Miss­stände hinzu­weisen, alle­mal sympa­thischer als solche, die an der Macht kleben und buch­stäb­lich lieber die Erde brennen sehen, als ihre vor­gestrige Welt­anschauung zu hinterfragen.

•••

In diesem Sinne kommt jetzt ein letztes Mal für dieses Jahr die beste Band der Welt zu Wort:

Nein – geh mal wieder auf die Straße, geh mal wieder demonstrieren
Denn wer nicht mehr versucht zu kämpfen – kann nur verlieren
Die Dich verarschen, die hast Du selbst gewählt
Darum lass sie Deine Stimme hörn, weil jede Stimme zählt


Also: Radikalisiert euch ein bisschen, und bleibt anständig dabei! Wir lesen uns nächstes Jahr wieder …


Und statt guter Vorsätze ein frischer Ausblick aus meiner Werkstatt auf das Konsumjahr 2023:

Vor einem Setzregal mit Regletten (ZeilenAbstandsHaltern) steckt eine Postkarte mit schwarzem Text-Aufdruck aus BleiLettern: "Nein danke, ich hab schon alles."

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert