Spät kapituliert
Fünfzig Seiten lang gebe ich den meisten Büchern die Chance, mich zu überzeugen. Manchmal, wenn ich dann noch nicht sicher bin, verdopple ich die Frist, aber dann weiß ich meist, ob ich das Buch fertiglesen möchte oder nicht. Insofern habe ich gerade einen denkwürdigen Rekord aufgestellt:
Von 480 Seiten habe ich 320 geschafft, aber dann war meine Geduld mit „Kruso“ von Lutz Seiler endgültig erschöpft. Drei Abende lang hatte ich angenommen, dass in einer Geschichte mit teils so wunderschönen Sätzen und raffinierten Spielchen mit Referenzen und Andeutungen (sowie erstaunlich schludrigem Korrektorat, aber das hätte sich verschmerzen lassen) doch irgendwann auch greifbare Substanz, womöglich gar Sinn hinter den Worten durchschimmern müsse. Aber im Lauf dieser konzentrierten, zunehmend mühsamen Lesearbeit wurde mein Gefühl immer drängender, irgendwas Wesentliches verpasst zu haben und einem etwaigen Kern des Ganzen nie auch nur nah gewesen zu sein – jedes Kapitel hängte dem von Beginn dominierenden „Was soll das?“ noch ein weiteres Fragezeichen an.
Dabei würde ich gar nicht ausschließen, dass Lesende mit einem höheren Bildungsniveau als dem meinen aus der Lektüre von „Kruso“ Gewinn ziehen könnten. Aber für diesen eher einfachen Geist blieb der Text auf allzu vielen Ebenen unverständlich. So hab‘ ich fürs Erste die Reißleine gezogen und überlege noch, ob ich in ein paar Tagen zumindest noch den Epilog lesen sollte. Im Moment tendiere ich zu Nein, weil ich nach der bisherigen Erfahrung grundsätzliche Zweifel hege, dass es in dieser Geschichte für mich etwas zu verstehen gibt. Und nennt es gern altmodisch, aber Geschichten, die ich nicht verstehe, mag ich nur dann, wenn ich anderweitige Anknüpfungspunkte habe, Identifikationsmöglichkeiten zum Beispiel; aber auch diesbezüglich hatte mir das zwar fraglos interessante Personal des Romans wenig zu bieten.