Geh weg, hier park’ ich!
Falls jemals die Welthauptstadt des Gehwegparkens gekürt werden soll, möchte ich gern Obertshausen nominieren.
In dieser Kleinstadt im Rhein-Main-Gebiet kommen auf jede volljährige Person gefühlt 1,5 Automobile, und die dürfen fast alles, fast überall. Der Abstellplatzbedarf ist hier so hoch, dass mitunter sogar auf Bürgersteigen, sobald sie breiter sind als ein halber Meter, Parkflächen abmarkiert werden. Aber selbst wo das nicht der Fall ist, wird das Auto ganz ungeniert auf den Gehweg gefahren; am liebsten möglichst dicht an Zaun oder Haus heran, damit die blechernen Artgenossen noch vorbeipassen – auf sonstige Verkehrsteilnehmende kann dabei natürlich keine Rücksicht genommen werden.
Alle Fotos in diesem Beitrag sind im Lauf einer halben Stunde an einem späten Werktagvormittag entstanden, viele Pendlerfahrzeuge dürften dementsprechend gar nicht vor Ort gewesen sein. Doch sogar in der Haupt-Durchgangsstraße – zwei folgende Bilder – ist um diese Zeit über weite Strecken kein Zweirichtungsverkehr möglich, selbst auf dem Fahrrad fühlt man sich dort permanent beengt und bedrängt.
Not-so-fun-fact: Auf genau dieser Hauptstraße bin ich schon als radelnder Schüler, vor mehr als vier Jahrzehnten (als auf den Nebenstraßen der Gemeinde noch Kicken und Federballspielen möglich waren, weil einfach nix im Weg rumstand und nur selten mal ein Auto fuhr), mal mit einem Pkw kollidiert, dessen Fahrerin mich unmittelbar vorm Einbiegen zum Parken noch rasch überholen musste. Fast genau so was ist mir, kaum einen Steinwurf weiter, auch heute wieder passiert – nur mit dem Unterschied, dass ich noch rechtzeitig bremsen konnte, weil ich inzwischen längst dran gewöhnt bin, innerorts kaum je mit Sinn und Verstand, sondern nur aus Prinzip überholt zu werden.
Folgerichtig werden in vielen Bereichen des Ortes, der insgesamt nur wenige echte Radwege hat, die Bürgersteige noch von ängstlichen Radlys mitbenutzt, wodurch man zu Fuß dort noch mehr bedrängt wird – der Druck im Straßenverkehr wird wie selbstverständlich an die jeweils Schwächeren weitergegeben, das erzeugt quasi Berliner Flair im Kreis Offenbach. Und mit Kinderwagen, Rolli oder Gehhilfen sollte man in Obertshausen lieber gleich gar nicht unterwegs sein müssen, denn dafür gibt es kaum geeignete Verbindungen, für die man zudem meist erhebliche Umwege in Kauf nehmen muss.
Die vernunftmäßig geradezu zwingende Idee schließlich, je Ortsteil einen Straßenring als Einbahnstraßen auszuweisen, in denen dann mehr Platz für alle wäre – womöglich sogar einschließlich eines eng getakteten Busverkehrs, der die verschiedenen Wohn-, Geschäfts- und Einkaufsbereiche erschlösse –, scheitert dem Vernehmen nach an Anwohnenden, die unbedingt in beide Richtungen losfahren dürfen wollen und lieber permanenten Stau, Lärm und Gestank direkt vor der Haustür akzeptieren, als bedarfsweise mal zwei Minuten flüssig in die falsche Richtung zu fahren … Schon bemerkenswert, wie viele Opfer manchereins zu bringen bereit ist, Hauptsache, das eigene Auto hat’s schön. Na ja, meine bevorzugte Religion wär’ das nicht 🙂
2 Comments
Thore
Des Doitschen heilig’s Blechle!
Heute stand in der lokalen Presse ein Artikel über die – durch zahlreiche größere Baustellen zugegebenermaßen etwas angespannte – Verkehrssituation in Kiel. Darin ging es um das Ausweichverhalten der Autofahrer. Ein Satz fiel mir besonders auf: „…Eine betroffene Anwohnerin berichtete, dass es bis zu fünf Minuten dauere, bis sie mit ihrem Auto bei der enormen Verkehrsdichte überhaupt ihr Grundstück verlassen könne.“
Merkste selber?! „Ich kann gar nicht Auto fahren, weil so viele Autos fahren! “
Des weiteren „…Während der 24-stündigen Messung an einem Dienstag im März waren hier 4459 Kraftfahrzeuge unterwegs, darunter 56 schwere Lkw und Busse. Außerdem wurden 565 Fahrräder und 34 Krafträder gezählt.“
Jedes dieser 565 Fahrräder und 34 Krafträder kännte auch ein weiteres Auto sein! Was würde bloß passieren, wenn stattdessen von den 4459 Kfz viele durch Fahrräder ersetzt würden? Wahrscheinlich würden durch die dann entspanntere Situation sofort wieder viele ins Auto springen! Ein Teufelskreis…
Christian Wöhrl
Ich bin wirklich sehr gespannt, ob unsere Generation noch ein echtes Umdenken bei der Priorisierung im Straßenverkehr erlebt. Vorgeblich passiert ja schon eine Menge im Sinne von Velorouten, Ridesharing-Modellen usw., aber halt bisher fast immer nur so, dass dem Automobil nichts weggenommen wird. So lange das so bleibt, ist es nur Augenwischiwaschi und keine Verkehrswende …