Bevor es losgeht: Wozu überhaupt der Aufwand?

Digitales Low-Budget-Großformat

Schon klar: Viele Bild­effekte, die mit einer verstell­baren Groß­format­kamera (oder Fach­kamera) erreichbar sind, lassen sich mehr oder weniger über­zeugend auch bei der Nach­bearbeitung digi­taler Fotos aus einer normalen Kamera erzielen – zumin­dest sofern man das bei der Aufnahme schon einplant. Ein wesent­licher Vorteil beim hand­werk­lichen Selber­machen besteht darin, dass man dabei lernt, *warum* etwas passiert: Ich verschwenke die Bild­ebene gegen die Objektiv­ebene, und plötz­lich habe ich einen völlig anderen Schärfe­verlauf im Bild – wenn ich so einen Effekt rein optomecha­nisch erzeuge, kann ich Ursache und Wirkung buch­stäblich be-greifen. (Und danach fällt es übri­gens auch leichter, die entspre­chenden Hilfs­linien und Anker­punkte im Tilt-Shift-Tool der Foto­soft­ware gezielt zu bedienen statt nur aufs Gerate­wohl.)

Dazu kommt, wenn man dazu neigt, ein immenses Vergnügen bei der Benut­zung der Gerät­schaften, völlig anders und, wie ich finde, viel inten­siver als bei hoch­moderner Elek­tronik. Die Bedie­nung so sperriger, schwerer Hard­ware ist ordent­lich körper­liche, mitunter schweiß­treibende Arbeit – und entspre­chend befrie­digend. Für mich funktio­niert das glück­licher­weise auch, wenn ich, wie im Folgenden beschrieben, statt der Plan­film­kassette eine Digital­kamera zur Bild­auf­zeichnung adap­tiere. (Obwohl es noch ein klein bisschen mehr Spaß macht, Film in großen Formaten zu belichten. Aber das hat ja auch seine Nachteile.)

Einige Beispiele dafür, was möglich ist, wenn man eine Digi­tale als Rück­teil einer Fach­kamera verwendet (das eine oder andere Foto kennt ihr bereits aus der Kate­gorie Digi­tales Compo­sing meines Blogs):

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Klassische Sujets sind Archi­tektur- und Produkt­fotos. Durch geeig­netes Verschieben der Objektiv- und der Bild­ebene gegen­einander (Shift) sind detail­reiche Schräg­ansichten ohne unschöne „stür­zende Linien“ möglich:

Und indem ich solche Fotos an der Fach­kamera aus mehreren Einzel­belichtungen zusammen­setze, erziele ich eine deut­lich höhere Auflö­sung (siehe winziger Ausschnitt des Schiffs­hebe­werks), die ich zwar nominell fürs Internet nicht brauche, die aber auch die Web-Darstel­lung verbes­sert: Ob ich eine 1600 Pixel breite Datei aus einem z.B. 4000 px breiten Foto oder aus einem 12.000 px breiten Compo­sing skalieren lasse, kann je nach Motiv einen enormen Unter­schied für Detail- und Tonwert­reichtum sowie die plas­tische Anmutung machen.

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Kombiniert man den Shift mit dem Verschwenken der Objektiv- und Bild­achse gegen­einander (Tilt), dann lässt sich neben der perspek­tivischen Darstel­lung auch die Lage der Schärfe im Bild beein­flussen. In diesem Beispiel liegt sie ungefähr parallel zur Ober­fläche des Winkel­hakens, der seiner­seits schräg in die Tiefe des Bildes läuft; dazu musste ich nicht weit abblenden, sondern nur das Objektiv ein paar Grad schwenken, bis Motiv-, Objektiv- und Sensor-Ebene einen gemein­samen gedachten Schnitt­punkt hatten (bei Detail­bedarf findet ihr im Netz viel über die Scheimpflugsche Regel).

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Bisher ging es darum, Bilder technisch zu verbes­sern. Noch viel span­nender finde ich, wie sich durch die Beein­flussung von Perspek­tive und / oder Schärfe Schwer­punkte verschieben und die Blicke lenken lassen (ja, auch die Eule ist – aus einiger Entfernung – mit der Fach­kamera auf großem Stativ aufgenommen):

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Hier noch eine Auswahl von, sagen wir, exzen­trischem Arbeiten mit der Tilt-Funktion. Beim Vogel­häuschen ist der Effekt noch subtil, die Schärfe folgt quasi einer schrägen Schneise durch den Wald; das Geländer über den Bach ist auf voller Länge scharf, aber nicht seine (foto­grafisch unwich­tigere) Seiten­wand; das Pfaffen­hütchen-Panorama ist außer durch den kräftigen Schwenk auch durch die Eigen­heiten des hier verwen­deten Platten­kamera-Objektivs von ca. 1920 geprägt; und die relativ extremen Verschwen­kungen der anderen beiden Bilder erzeugen für mein Empfinden eine geradezu surreale Atmo­sphäre. – Das ist alles nicht mehr unbe­dingt lehr­buch­konform; aber sind Regeln etwa nicht dafür da, gründ­lich erlernt und dann im geeig­neten Moment bewusst igno­riert zu werden?

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Und zu guter Letzt erwei­tert eine Fach­kamera auch erheb­lich die Möglich­keiten der ohnehin faszi­nierenden Kombi­nation aus Digital­kamera und Loch­blende. Schließ­lich wirkt so ein Pinhole wie ein verzeich­nungs­freies Ultra­weit­winkel und ist ein biss­chen unter­fordert, wenn man es nur in einen gebohrten Gehäuse­deckel klebt …

In Teil 2 schauen wir uns an, was wir für derlei Bastelei an Hardware brauchen.

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Digitales Low-Budget-Großformat

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